Wichtig war, mit der Zeit das Schöne am Leben wieder zu entdecken

Foto von Paar in einem Straßencafe

Dagmar, 59 Jahre

„Ich fand es für mich mit der Zeit wichtig, mich nicht immer zu fragen ,Warum ich?‘, sondern das Schöne am Leben wieder im Kleinen zu entdecken, mir eine Aufgabe zu suchen und meine Aktivitäten immer wieder an meine Möglichkeiten anzupassen.“

Die ersten Anzeichen von habe ich bemerkt, als ich 42 Jahre alt war. Mir fiel auf, dass beim normalen Gehen mein linker Arm nicht wie gewohnt mitschwang. Ich dachte, dass dies mit meiner Arbeit zusammenhing. Ich galt im Büro als langsam, obwohl ich mich ständig beeilt habe. In der Firma gab es in dieser Zeit eine große Arbeitsplatzunsicherheit und der Druck nahm zu. Ich habe mir gedacht, wenn ich länger Urlaub mache, dann sollten meine Beschwerden weg sein. Aber auch während des Urlaubs merkte ich, dass ich meinen Arm beim Gehen unbewusst steif am Körper hielt.

Alles brauchte viel mehr Zeit

Nach dem Urlaub merkte ich, dass ich meine Arbeitsaufgaben nur noch im Zeitlupentempo erledigen konnte, während anderen ihre Arbeit flott von der Hand ging. Meine Handschrift wurde immer kleiner und krakeliger. Ich brauchte auch daheim für alles länger und musste immer früher aufstehen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Ich verkürzte meine Pausen immer weiter, schaffte aber mein Arbeitspensum dennoch nicht mehr. Auch privat fehlte mir die Zeit, mich auszuruhen oder Freunde zu treffen. Ich suchte mir eine Putzfrau, aber auch das war nur vorübergehend erleichternd.

Ich wusste damals fast nichts über . Meine Hausärztin suchte ich wegen verkrampfter Rückenmuskulatur und Depressionen auf. Sie meinte bei einem späteren Termin, dass sie eine Vermutung hätte, was ich haben könnte. Aber das wäre eigentlich nicht möglich, da ich dazu wohl zu jung sei. Sie wusste damals anscheinend nicht, dass auch bei jüngeren Menschen auftreten kann.

Schock durch die unerwartete Diagnose

Sie überwies mich zu einer Neurologin, die mich wiederum zu einer Ambulanz für Bewegungsstörungen schickte. Ich war mir sicher, dass ich dort die Bestätigung bekomme, nicht an erkrankt zu sein. Das Gegenteil war der Fall und ich war in Weltuntergangsstimmung. Ich sollte zu den unheilbar Kranken gehören, nachdem ich immer versucht hatte, gesund zu leben?

Nachdem ich die hatte, beschäftigte ich mich mehr und mehr mit der Erkrankung und war entsetzt, was alles betroffen sein konnte. Praktisch der gesamte Körper, mit Ausnahme der Intelligenz. Ich habe mir darüber damals viele Gedanken gemacht und trat einem Verein für Humanes Sterben bei. Dort habe ich mich über entsprechende Maßnahmen informiert. In etwa derselben Zeit schloss ich mich einer Selbsthilfegruppe an und informierte mich über psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten. Ich bekam dann die Information, dass eine Studie zum Thema „Verhaltenstherapeutische Interventionen bei Parkinson-Kranken“ durchgeführt würde. Ich rief dort an und wurde in die Studie aufgenommen. Der Therapeut war sehr einfühlsam und die Behandlung im Rahmen dieser Studie hat mir damals sehr geholfen und hilft mir heute auch noch.

Beschwerden in den ersten Jahren kaum für andere sichtbar

Meine Angst, dass mich andere ab jetzt komisch anschauen und meiden würden, bestätigte sich nicht. Die Symptome waren in den ersten Jahren zwar für mich spürbar, aber für meine Umgebung kaum sichtbar. Dennoch distanzierten sich zwei Freunde von mir, deren Väter auch an erkrankt waren. Aber zu einer Zeit, als es kaum Medikamente gab. Ich konnte diese Distanzierung verstehen, aber es war trotzdem schmerzhaft für mich. Dafür gab es zwei neue, sehr verlässliche Freundschaften, die bis heute anhalten.

Außerdem lernte ich meinen jetzigen Lebenspartner kennen, nachdem ich schon ein paar Jahre an erkrankt war. Wir leben jetzt schon seit etwa zehn Jahren zusammen. Er hat zwar keinen , aber andere gesundheitliche Probleme. Wir können gut miteinander reden und haben zusammen viel für unser Leben gelernt.

Die Behandlung mit Medikamenten

Zur Sicherung der und zur Einstellung der Medikamente wurde ich in eine Uniklinik überwiesen. Ich war an einem idiopathischen (Anm. d. Red.: ohne bekannte Ursache) erkrankt. Zu Beginn nahm ich einen MAO-B-Hemmer und L-Dopa verteilt auf dreimal täglich ein. Später kam noch ein Dopaminagonist dazu. Ich habe bemerkt, dass mit der Einnahme der Medikamente meine Konzentrationsfähigkeit nachließ. Ich habe beispielsweise, seitdem ich die Medikamente einnehme, Probleme, ein Buch zu Ende zu lesen.

Während die Wirkung der Medikamente anfangs gleichmäßig über den Tag verteilt war, veränderte sich dies nach etwa vier Jahren. Ich konnte genau spüren, wann die Wirkung begann und wann sie nachließ. Diese Erfahrung und auch der Austausch in der Selbsthilfegruppe ermunterten mich, mich mehr mit meinem Arzt über die Medikation auszutauschen.

Leider musste ich nach mehreren Jahren den Dopaminagonisten wechseln, weil er im Verdacht stand, als Nebenwirkung das Herz zu schädigen. Bei mir wurden plötzlich undichte Herzklappen festgestellt. Nach dem Wechsel zu einem anderen Medikament nahm ich leider etwa sieben Kilo an Gewicht zu.

Ich habe mich zu einer Operation entschlossen

Nach 15 Jahren Behandlung befand ich mich nach schrittweisen Steigerungen an der oberen Grenze der Medikamentendosierung. Ich nahm alle zwei Stunden L-Dopa und mir fiel es schwer, den nötigen Abstand zwischen den Mahlzeiten und der Medikamenteneinnahme einzuhalten. Es ging mir auch körperlich schlecht und ich stand kurz davor, pflegebedürftig zu werden.

Zu diesem Zeitpunkt beschloss ich, eine Tiefenhirnstimulation machen zu lassen. Ich ließ mich dafür in einer Universitätsklinik operieren. Diese Operation hat mir sehr gut geholfen. Seitdem kann ich meinen Alltag wieder besser bewältigen. Das L-Dopa konnten mein Arzt und ich auf gut die Hälfte reduzieren, so dass ich damit wieder klarkomme. Ich merke zwar trotzdem, dass die Erkrankung fortschreitet, habe aber einen für mich wichtigen Aufschub gewonnen. Die Operation ist nun zwei Jahre her und es wurde jetzt die für mich optimale Einstellung gefunden. Leider habe ich nach der Operation noch einmal zugenommen.

Was mir neben den Medikamenten und der Operation hilft

Neben der medikamentösen Behandlung und der Operation habe ich einiges an Hilfe aus dem nicht-medikamentösen Bereich erhalten: eine , Krankengymnastik, Fußreflexzonentherapie. Ich habe homöopathische Mittel eingenommen und noch einiges mehr für mich gemacht. Tanzen und Feldenkrais hat mir beispielsweise sehr gut getan und ich konnte meine Muskeln ein wenig lockern.

Ich habe mehrere Jahre eine Gymnastikgruppe für Menschen mit geleitet. Das hat mir großen Spaß gemacht und mir viel gegeben. Leider entwickelte sich die Gruppe auseinander und meine Beschwerden wurden stärker, so dass ich diese Tätigkeit aufgeben musste.

Seit mehreren Jahren bin ich Mitglied einer Selbsthilfegruppe speziell für jüngere Menschen mit . Von diesem Austausch profitiere ich sehr stark und er gibt mit Halt und Selbstbewusstsein.

Ich finde es ganz wichtig, dass man einen Neurologen hat, der einfühlsam und kompetent ist. Wichtig finde ich es auch, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, die aber darin konsequent ist, keine Gelder aus der Pharmaindustrie anzunehmen.

Ich fand es für mich mit der Zeit wichtig, mich nicht immer zu fragen ,Warum ich?‘, sondern das Schöne am Leben wieder im Kleinen zu entdecken, mir eine Aufgabe zu suchen und meine Aktivitäten immer wieder an meine Möglichkeiten anzupassen. Und auch eine Genesung nicht ganz auszuschließen, wer weiß was die Wissenschaft in der Zukunft herausfindet.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 22. Februar 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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