Trotz vieler Psychose-Schübe habe ich immer wieder in meinen Alltag gefunden

Foto von zwei Frauen an einem See

Petra, 55 Jahre

„Ich fing an, zwischen den Zeilen zu lesen und allem eine Bedeutung zu geben, war misstrauisch und hatte Angst, verraten zu werden. Ich denke, es war eine Folge des Vertrauensverlusts in mich, weil ich die Umwelt falsch wahrnahm.“

Die erste Krise hatte ich mit Mitte zwanzig: Ich war Studentin, schrieb gerade an meiner Diplomarbeit und habe die Nächte durchgearbeitet, kannenweise Kaffee getrunken und kaum geschlafen. Dazu kamen Spannungen in der WG und eine unglückliche Liebe.

Irgendwann fiel meiner Mitbewohnerin auf, dass ich mich merkwürdig verhalte. Und ich merkte es auch selbst: Ich wurde von meiner Umwelt nicht mehr verstanden.

Ich bezog alles auf mich, war überdreht und schlief nicht mehr

Ich fing an, zwischen den Zeilen zu lesen und allem eine Bedeutung zu geben. Liedanfänge wie „she wants to be perfect“ bezog ich auf mich, genauso wie Wortfetzen, die ich im Vorbeifahren hörte. Oder ich dachte, dass Gespräche von Fremden mich beträfen.

Außerdem war ich überdreht, aß und schlief nicht mehr, meine Hände zitterten. Mein Hörsinn war extrem überreizt. Ich hörte keine Stimmen, aber dachte oft, dass ein Telefon klingelt oder eine Polizeisirene zu hören ist, obwohl es gar nicht stimmte.

Ich wurde extrem misstrauisch und hatte Angst, verraten zu werden. Ich denke, es war eine Folge des Vertrauensverlusts in mich, weil ich die Umwelt falsch wahrnahm.

Ich habe mich gewehrt, in die Psychiatrie zu gehen

Meine Schwester und ihr Mann kamen und versuchten, mich zu beruhigen – allerdings ohne Erfolg. Ich schlief nicht mehr und stand nachts immer wieder wie ein Stehaufmännchen auf. Auch meine Eltern, beide Ärzte, wussten nicht mehr weiter.

Schließlich brachte mich meine Familie zu einem Neurologen, der dringend dazu riet, mich stationär in einer Psychiatrie vorzustellen. Als ich das hörte, bekam ich Angst und sträubte mich. Meine Eltern schafften es aber in vielen Gesprächen, mich davon zu überzeugen.

In der psychiatrischen Klinik bekam ich eine Beruhigungsspritze und war sofort komplett weg. Als ich mitten in der Nacht aufwachte und nicht wusste, wo ich war, bekam ich Panik. Dieses Erlebnis war traumatisch und hat mein Vertrauen in Kliniken und alle Personen dort nachhaltig erschüttert.

Bei der zweiten Psychose erkannte ich die Anzeichen sehr früh

Auch vor der zweiten Krise hatte ich viel Stress, musste viel arbeiten und schlief nicht genug. Ich erkannte die Symptome von der ersten Krise und wusste sofort: Ich brauche Hilfe. Ich sagte meinem Partner Jürgen, dass ich in die Klinik will.

In der Klinik bekam ich Panik, kurz bevor ich eine Beruhigungsspritze erhielt. Es war eine Mischung aus mehreren starken Gefühlen: Ich hatte Angst, dass man mich einsperrt und ich nicht mehr selbst über mein Leben entscheiden kann. Gleichzeitig hatte ich eine große Wut auf mich selbst, weil ich wusste, dass ich Hilfe brauchte und nicht mehr für mich selbst sorgen konnte. Ich wollte nicht aus meinem Alltagsleben gerissen werden.

Wegen meines Widerstands wurde ich festgehalten und unter Zwang ruhiggestellt, auch das war ein schlimmes Erlebnis. Genauso wie bei den späteren Krisen: Alle Einweisungen waren für mich traumatisch. Einmal wurde die Polizei in die Arztpraxis gerufen, weil ich mich dagegen wehrte, meine Krankheit zu akzeptieren. Die Einweisung wurde angeordnet und ich in die Klinik zwangseingewiesen.

Nach der Psychose kommt das Tief der Depression

Ich habe mich auch deswegen so stark gewehrt, weil ich ahnte, was mir bevorstand: 4 bis 6 Wochen Klinik, dann langsame Erholung über Monate. Und danach die – als ob das Gehirn erschöpft von der akuten Phase ist und sich erholen muss. Man ist in einem Loch und muss sich Stück für Stück wieder herausarbeiten. Wieder in den Alltag zurückfinden, sein Leben aufnehmen. Das ist kräftezehrend.

Ich hatte nach jedem psychotischen Schub eine . Und da ist es gut, dass ich mittlerweile weiß, dass es dazugehört und wieder vorbeigeht. Das hört sich banal an, aber wenn man gerade mitten in der steckt, glaubt man nicht daran, dass es jemals vorbei sein wird. Die Erfahrungen aus mehreren Schüben haben mich gelassener gemacht.

Die Psychosen waren auch hormonell beeinflusst

Eine Krise kam, als meine Tochter geboren und gerade zehn Tage alt war – eine sogenannte Wochenbettpsychose. Ich schlief überhaupt nicht mehr, und zwar nicht durch den Babystress bedingt. Dieses frühe Anzeichen hatte ich selbst erkannt und wollte direkt in die Klinik.

Anscheinend war bei mir der Hormonumschwung entscheidend. Auch die anderen Psychosen begannen immer, wenn meine Regelblutung kam. Deswegen nehme ich neben den Medikamenten für die Psychose auch ein Hormonpräparat.

Ich bin froh, dass es die Medikamente gibt

Seit der dritten Psychose nehme ich dauerhaft Medikamente: eine Kombination aus , und Hormonpräparaten.

Wenn ich Anzeichen für einen Schub bemerke, kommt zusätzlich ein anderes Antipsychotikum dazu, das mich vor irrealen Gedanken schützt. Bei sehr starken Ängsten und Misstrauen gegenüber der Welt nehme ich ein Beruhigungs- und angstlösendes Mittel – aber höchstens zwei Wochen lang.

Die sehr starke Gewichtszunahme als Nebenwirkung ist nicht schön, aber ich bin froh, dass es die Medikamente gibt.

Nach und nach wurde mir klar, dass die Erkrankung lebenslang bleibt

Bei den weiteren Krisen in den nächsten Jahren – alle ungefähr im Abstand von einem Jahr – war ich oft in der Zeit vorher psychisch belastet: Wir waren im Ausland, ich war mit Job und Kind überfordert und unsere Ehe hat dadurch gekriselt.

Spätestens bei der fünften und sechsten Episode habe ich verstanden, dass ich die Schizophrenie und Psychosen lebenslang behalten werde. Ich habe es anerkannt und akzeptiert. Und versucht, die Krankheit besser zu verstehen. Denn ich wusste lange nicht genau, was ich hatte. Nach der ersten Krise wurde immer nur von „Nervenzusammenbruch“ gesprochen – „Psychose“ hat keiner gesagt. Vielleicht wollten mich alle schonen und hofften, dass es etwas Einmaliges blieb.

Nach dem zweiten Schub erklärte mir mein Arzt immerhin etwas mehr zum möglichen Verlauf der Erkrankung: Es gibt Menschen, bei denen Schizophrenie nur einmal oder wenige Male auftritt. Die Psychosen können aber irgendwann chronisch werden und regelmäßig wiederkommen.

Ich dachte, es ist besser zu verdrängen

Ehrlich gesagt, wollte ich selbst lange nicht mehr als nötig von der Erkrankung wissen. Als mir meine Ärztin damals anbot, eine begleitende Psychotherapie zu machen, lehnte ich zunächst ab. Ich wollte nicht mit der „Schizophrenie“ konfrontiert werden, das hätte mich zu sehr aufgewühlt. Ich dachte, es ist besser, zu verdrängen und weiterzumachen.

Dabei habe ich nicht verstanden, worum es wirklich geht in der : dass ich eine Zeitlang begleitet werde und vorbeugend lerne, mir den Alltag so zu gestalten, dass ich ohne psychotische Episoden leben kann.

Zum Glück habe ich ein paar Jahre nach dem dritten Schub doch eine Psychotherapie angefangen. Und die war essenziell dafür, dass es mir heute gut geht: Ich habe seit sieben Jahren keine Psychose mehr gehabt und kann mich gut auffangen, wenn ich früh Symptome bemerke. Ich glaube, ohne die wäre ich zur Dauerpatientin in der Klinik geworden.

Heute kann ich eine Belastung früh erkennen

Wichtig war die Erkenntnis, dass ich die Krankheit akzeptieren und mit ihr leben muss. Aber auch, dass ich sehr gut mit ihr leben kann. Und in der gab es ganz konkrete Hilfe für bestimmte Situationen: Wie gehe ich mit Ängsten um? Wie mit Schlaflosigkeit?

Gleichzeitig hörte ich von meiner Therapeutin, was ich alles schon gemeistert hatte und dass ich es sehr gut machte. Das tat mir extrem gut. Denn das ist eine Folge der Psychose: Ich traue mir nicht mehr so viel zu wie früher und denke, ich mache die Dinge nicht gut genug. Durch die bekam ich das Rüstzeug, um den Alltag zu bewältigen und wieder an mich zu glauben.

Heute erkenne ich eine beginnende Belastung sehr früh. Etwa, wenn mehrere Stressfaktoren gleichzeitig kommen, wie eine ungewohnte Anforderung im Job und ein Todesfall in der Familie. In mir kommt dann die Angst vor einer Zwangseinweisung in die Klinik hoch – noch bevor die anderen Symptome auftreten.

Dann ist es gut, wenn ich krankgeschrieben werde, mich erholen und abschirmen kann. Dafür reichen meist drei Wochen. Es wird dann keine echte Psychose und Krise, sondern eher eine Art „psychotischer Einbruch“.

Zusätzlich werden die Medikamente angepasst: Die Dosis des Antipsychotikums wird etwas erhöht und ein weiteres Medikament kommt als Schutz dazu. Inzwischen kenne ich die nötigen Anpassungen: Wenn ich frühe Anzeichen bemerke, schließe ich mich mit meiner behandelnden Ärztin kurz und passe die Medikamente selbst zu Hause an.

Die Krankheit hat nichts mit dem Charakter oder mangelnder Disziplin zu tun

Mir hat es sehr geholfen, mehr über die Erkrankung zu erfahren – vor allem der Informationskurs in der Klinik war sehr hilfreich. Dieses Wissen hat mir auch geholfen, zu verstehen, warum die Vorbeugung so wichtig ist: Routinen wie genügend Schlaf und regelmäßige Mahlzeiten bringen Stabilität. Aber auch, mir Zeit frei zu räumen, um Freunde zu sehen. Das tut mir gut und entspannt mich.

Was damals ein Augenöffner für mich war und mich extrem entlastet hat: Die Schizophrenie hängt nicht mit meinem Charakter zusammen oder mit mangelnder Disziplin. Ich bin deswegen nicht verantwortlich für die Erkrankung.

Die Hilfe meiner Familie und Freunde ist sehr wichtig

Was mir sehr hilft, ist die Unterstützung durch meine Familie. Ich kann ein ganz normales Leben führen, mit Kind, Partner und einem Job. Mein Mann Jürgen hat ab der zweiten Krise alles mitbekommen und sich um unsere Tochter gekümmert, als ich im Wochenbett erkrankt war. Er steht immer zu mir, dafür bin ich sehr dankbar.

Was wichtig ist zwischen uns: Er ist da, aber er bevormundet mich nicht. Er sucht nicht ständig nach Anzeichen für eine mögliche Psychose, sondern geht davon aus, dass ich es selbst bemerke und dann tue, was nötig ist. Das ist ein großes Vertrauen.

Genauso wie meine Eltern, die mich sehr unterstützt haben. Auch meine Schwestern haben mir immer beigestanden, sie haben mir Postkarten und kleine Geschenke geschickt. Einfach an mich gedacht, ohne groß über die Krankheit zu reden.

Ich habe sehr verständnisvolle Freunde, die alle Bescheid wissen. Wenn ich eine psychotische Phase habe, nehmen sie mich so an, wie ich bin. Sie besuchen mich in der Klinik und danach geht es weiter.

Ich weiß, ich werde gebraucht und bin nicht isoliert durch die Krankheit, was anderen Menschen mit einer Schizophrenie und Psychose sehr häufig passiert.

Viele Betroffene verheimlichen die Krankheit und ziehen sich zurück

Deswegen würde ich mir sehr wünschen, dass die Erkrankung in der Gesellschaft bekannter wäre. Dann würden Betroffene auch seltener versuchen, alles zu vertuschen, und sich aus Scham zurückziehen.

Jemandem, der zum ersten Mal erkrankt ist, würde ich raten, mit der Familie und engen Freunden zu sprechen und auf frühe Zeichen zu achten. Und gemeinsam Faktoren zu erkennen, die eine Krise auslösen können. Bei mir waren es Schlafmangel, psychischer Stress und hormonelle Umstellungen. Das ist bei jeder Person anders.

Auf der anderen Seite sollte man sich aber auch nicht verrückt machen und permanent selbst beobachten. Und keine Angst vor einer begleitenden Psychotherapie haben.

Grundsätzlich ist es für mich gut gelaufen: Trotz vieler Psychose-Schübe habe ich immer wieder in meinen Alltag gefunden und konnte mein Leben selbstbestimmt leben. Mit der Begleitung meiner Ärztin und Unterstützung meiner Familie, meines Mannes und des Freundeskreises habe ich es geschafft, gut mit der Erkrankung zu leben.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

Seite kommentieren

Was möchten Sie uns mitteilen?

Wir freuen uns über jede Rückmeldung entweder über das Formular oder über gi-kontakt@iqwig.de. Ihre Bewertungen und Kommentare werden von uns ausgewertet, aber nicht veröffentlicht. Ihre Angaben werden von uns vertraulich behandelt.

Bitte beachten Sie, dass wir Sie nicht persönlich beraten können. Wir haben Hinweise zu Beratungsangeboten für Sie zusammengestellt.

Über diese Seite

Erstellt am 19. April 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

So halten wir Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter oder Newsfeed. Auf YouTube finden Sie unsere wachsende Videosammlung.