Lässt sich eine Verschlechterung der Kurzsichtigkeit bei Kindern aufhalten?

Foto von Kind, das mit Augentropfen behandelt wird

Kurzsichtigkeit lässt sich nicht heilen oder stoppen. Spezielle Augentropfen oder Kontaktlinsen können aber dazu führen, dass sie bei Kindern etwas langsamer zunimmt und insgesamt nicht so stark wird.

Eine Kurzsichtigkeit entsteht meist durch einen zu langen Augapfel. Im Laufe der Kindheit und Jugend wächst der Augapfel noch – daher nimmt die Kurzsichtigkeit in dieser Zeit bis ins frühe Erwachsenenalter oft zu. Danach verändert sie sich meist nicht mehr oder nur noch wenig. Die Kurzsichtigkeit lässt sich zwar nicht beseitigen, aber beispielsweise mit einer Brille gut ausgleichen.

Seit einigen Jahren werden verschiedene Methoden eingesetzt, um das Wachstum des Augapfels zu bremsen. Dadurch soll die Kurzsichtigkeit insgesamt etwas weniger voranschreiten und das Risiko für mögliche Folgeerkrankungen sinken. Vor allem stark kurzsichtige Kinder könnten davon profitieren: Denn das Risiko für Folgeerkrankungen wie eine Makuladegeneration oder Netzhautablösung ist umso höher, je stärker die Kurzsichtigkeit ist.

Bislang sind Augentropfen mit dem Wirkstoff Atropin und spezielle Kontaktlinsen (Ortho-K-Kontaktlinsen) die am besten in Studien untersuchten Methoden. Ihre langfristigen Vor- und Nachteile lassen sich jedoch noch nicht zuverlässig angeben.

Wie helfen Atropin-Augentropfen?

Atropin ist ein Wirkstoff, der in einigen Pflanzen wie der Tollkirsche enthalten ist. Studien zeigen, dass bei Kindern der Augapfel weniger wächst, wenn sie Augentropfen mit Atropin bekommen. Dadurch nimmt ihre Kurzsichtigkeit weniger zu. Allerdings ist unbekannt, wie genau Atropin das Wachstum des Augapfels bremst.

In Deutschland werden normalerweise Tropfen mit einer Dosierung von 0,01 % Atropin verwendet. Bisher ist noch nicht erforscht, ob dies die beste Dosis ist – höhere Dosen scheinen zwar besser zu wirken, aber auch mehr Nachteile zu haben. Dazu gehören Nebenwirkungen und das Risiko, dass die Kurzsichtigkeit wieder stärker zunimmt, wenn man die Augentropfen absetzt.

Welche Nebenwirkungen haben Atropin-Augentropfen?

Atropin kann dazu führen, dass man vorübergehend lichtempfindlich ist oder Dinge in der Nähe verschwommen sieht. Das kann beispielsweise Probleme beim Lesen bereiten. Langfristige Risiken sind allerdings noch nicht gut untersucht.

Manche Kinder reagieren allergisch auf die Augentropfen. Das zeigt sich zum Beispiel durch juckende, gerötete Augenlider oder einen Hautausschlag im Bereich der Augen. Stärkere Reaktionen sind selten, etwa eine der Bindehaut oder .

Wie werden die Atropin-Augentropfen angewandt?

Die Augentropfen kommen vor allem für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren infrage, deren Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens 0,5 Dioptrien zunimmt. Am sinnvollsten ist die Behandlung im Grundschulalter, da in diesem Alter der Augapfel am stärksten wächst.

Die Tropfen werden täglich abends vor dem Zubettgehen in die Augen gegeben. Spätestens nach zwei Jahren prüft die Augenärztin oder der Augenarzt, ob die Behandlung fortgeführt werden soll.

Derzeit sind Atropin-Augentropfen in Deutschland nicht für die Behandlung von Kurzsichtigkeit zugelassen. Eltern können sie für ihr Kind dennoch verschreiben lassen, nachdem sie von der Ärztin oder dem Arzt ausführlich über die möglichen Vor- und Nachteile aufgeklärt wurden (Off-Label-Use). Die Behandlung wird in der Regel nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Wie helfen Ortho-K-Kontaktlinsen?

Ortho-K-Kontaktlinsen (kurz für orthokeratologische Kontaktlinsen) sind speziell geformte, harte Kontaktlinsen. Sie werden nur nachts getragen. Die Linsen verformen die für kurze Zeit so, dass man tagsüber auf eine Brille oder Kontaktlinsen verzichten kann. Studien haben gezeigt, dass regelmäßiges Tragen von Ortho-K-Linsen auch das Wachstum des Augapfels bremst: Die Augäpfel von Kindern, die zwei Jahre lang Ortho-K-Linsen zum Schlafen trugen, wuchsen weniger als die von Kindern, die eine gewöhnliche Brille trugen. Wie das genau funktioniert, ist aber unklar.

Derzeit wird in weiteren Studien untersucht, wie wirksam Ortho-K-Kontaktlinsen das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit verringern. Wie sie die Kurzsichtigkeit langfristig beeinflussen, lässt sich noch nicht sicher sagen.

Haben Ortho-K-Kontaktlinsen Risiken?

Ortho-K-Kontaktlinsen können unangenehm zu tragen sein und die Augen reizen.

Zudem kann sich die entzünden (Keratitis), wenn die Kontaktlinsen vor dem Einsetzen nicht ausreichend gesäubert werden. Eine Keratitis führt unter anderem zu Augenschmerzen, einem Fremdkörpergefühl und Lichtempfindlichkeit. Wird sie nicht rasch mit einem Antibiotikum behandelt, kann sie das Sehen langfristig beeinträchtigen. Treten Anzeichen für eine Keratitis auf, sollten die Ortho-K-Kontaktlinsen zunächst nicht mehr getragen werden.

Was ist bei der Behandlung mit Ortho-K-Kontaktlinsen zu beachten?

Ortho-K-Kontaktlinsen kommen vor allem bei Kindern zwischen 6 und 14 Jahren infrage, deren Kurzsichtigkeit sich jährlich um mindestens 0,5 Dioptrien verschlechtert. Am besten werden sie im Grundschulalter getragen, da in diesem Alter der Augapfel am stärksten wächst. Sie können auch mit Atropin-Tropfen kombiniert werden.

Wichtig ist,

die Linsen und ihren Aufbewahrungsbehälter sauber zu halten, um Entzündungen zu vermeiden.

Die Ortho-K-Linsen sollten regelmäßig getragen werden, da die Sehfähigkeit sonst von Tag zu Tag stark schwankt. Sie werden in der Regel nicht von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt.

Gibt es weitere Möglichkeiten?

Studien liefern Hinweise, dass auch andere Methoden das Augapfel-Wachstum und somit das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit verlangsamen können:

  • Mehrstärken-Kontaktlinsen (multifokale Kontaktlinsen): Diese speziellen Linsen dienen bisher hauptsächlich alterssichtigen Erwachsenen als Alternative zur Gleitsichtbrille.
  • Multisegment-Brillen (DIMS): Die speziellen Brillengläser mit vielen kleinen, ringförmig eingelassenen Linsen verändern die Lichtbrechung in den äußeren Bereichen der .

Bislang ist aber noch nicht gut untersucht, wie stark sie die Kurzsichtigkeit beeinflussen. Wie lange sie angewendet werden sollten, ist ebenfalls unklar.

Kann man selbst etwas gegen das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit tun?

Ob Kinder mit ihrem eigenen Verhalten beeinflussen können, wie sehr die Kurzsichtigkeit fortschreitet, ist nicht gut untersucht.

Fachleute gehen davon aus, dass folgende Maßnahmen eine Rolle spielen:

  • lange Naharbeit vermeiden: Damit ist gemeint, beispielsweise nicht zu lange am Stück zu lesen, auf das Smartphone zu schauen oder am Computer zu arbeiten. Es ist allerdings nicht gut untersucht, wie viele Pausen oder welchen Abstand die Augen brauchen, damit eine Kurzsichtigkeit weniger voranschreitet. Fachleute empfehlen meist, mindestens 30 Zentimeter Abstand einzuhalten und das Lesen nach 30 Minuten zu unterbrechen, um für 10 Minuten in die Ferne zu blicken.
  • mehr Zeit draußen verbringen: Auch möglichst viel Zeit im Freien zu verbringen, scheint eine Verschlechterung der Kurzsichtigkeit aufzuhalten. Warum genau das hilft und wie lange man draußen sein sollte, ist jedoch unklar. Oft wird empfohlen, täglich mindestens zwei Stunden draußen zu sein.

Von welchen Behandlungen wird abgeraten?

Früher glaubte man, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit ließe sich durch eine Unterkorrektur verlangsamen. Das heißt, Kinder sollten Brillen tragen, die ihre Kurzsichtigkeit nicht ganz ausglichen, sondern etwas zu wenig korrigierten. Es gibt aber keine Belege aus Studien, dass dies Vorteile hat. Im Gegenteil: Eine Unterkorrektur scheint die Kurzsichtigkeit eher zu verschlechtern. Außerdem können Kinder so im Alltag nicht optimal sehen.

Manchmal werden weitere Behandlungen angeboten, deren Wirksamkeit nicht bewiesen ist. Dazu gehören zum Beispiel oder bestimmte Ernährungsweisen. Auch ein „Augenmuskel-Training“, das die Augenmuskulatur mit verschiedenen Übungen anregen oder entspannen soll, hat keinen Effekt auf die Kurzsichtigkeit.

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Erstellt am 11. September 2024

Nächste geplante Aktualisierung: 2027

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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