In Ruhe und beim Einschlafen führten meine Beine ein Eigenleben

Foto von älterem Paar bei der Gartenarbeit

Leander, 77 Jahre

„Viele verstehen nicht, wie belastend ein Restless-Legs-Syndrom ist: Ich habe nicht mehr richtig geschlafen, war kaputt und habe mich sozial zurückgezogen. An Veranstaltungen wie Theater, Kino oder Essenseinladungen war nicht zu denken, weil ich oft plötzlich aufstehen und herumlaufen musste.“

Vor 38 Jahren, als wir frisch verheiratet waren, bemerkte meine Frau, dass meine Beine im Bett ein Eigenleben führten: Sie zuckten und bewegten sich unwillkürlich. Ich konnte mir nicht wirklich einen Reim darauf machen. Auch wenn ich keine Schmerzen hatte, war mein Schlaf gestört und wurde im Laufe der Nacht immer wieder unterbrochen.

Da es aber nicht bedrohlich war und auch nicht durchgehend, beließ ich es dabei und dachte, ich müsste damit leben.

Etwa 15 Jahre später kam noch ein unangenehmes Kribbeln dazu. Etwas geängstigt hat es mich schon, im Hinterkopf war eine leise Stimme: „Was ist, wenn meine Zehen vielleicht absterben? Ist das Kribbeln ein Zeichen für Durchblutungsstörungen?“

Meine Hausärztin erkannte, was ich hatte

Die Hausärztin erkannte die Beschwerden: Ich hätte das „ der unruhigen Beine oder Restless Legs“. Das beruhigte mich, weil das Beinzucken zumindest einen Namen hatte. Sie wollte mir aber keine Medikamente verschreiben, weil diese teilweise starke Nebenwirkungen hätten und die Beschwerden noch verhältnismäßig leicht waren.

Zumindest wusste ich relativ früh, was ich hatte. Manche Menschen wissen über Jahrzehnte nicht Bescheid über ihr und denken, sie müssten allein damit zurechtkommen.

Als ich Diabetes bekam, wurde es schlimmer

Ich habe dann einfach damit gelebt und versucht, es so gut wie möglich zu ignorieren. Die Beschwerden waren ja nicht immer da und verschwanden durch Bewegung und Herumlaufen.

Als ich aber fünf Jahre später Typ-2-Diabetes bekam und zwei verschiedene Diabetes-Medikamente als Tabletten einnahm, wurde es schlimmer mit den Beinen: unwillkürliche Bewegungen, Zucken, ein unangenehmes Kribbeln – und neu dazu ein Hitzegefühl und der Eindruck, die Füße wären auf das Doppelte angeschwollen.

Und die Beschwerden fingen früher am Tag an: Sobald ich mich am späten Nachmittag gegen vier, halb fünf hinsetzte, zuckten die Beine. Das ging meist bis nachts um halb zwei oder länger, hin und wieder auch die ganze Nacht durch. Sobald ich aber aufstand und mich bewegte, war alles weg. In dieser Zeit war ich durch den Schlafmangel völlig erschöpft und gerädert. Ich war im Alltag sehr belastet.

Die Ursache war nicht klar

Deswegen überwies mich die Hausärztin zur Abklärung und weiteren Behandlung dann doch an einen Neurologen. Er befragte mich, prüfte die Nervenleitgeschwindigkeit und bestätigte die Vermutung der Hausärztin: Es sei das .

Der Neurologe suchte nach möglichen Ursachen wie einer Borreliose durch Zeckenbiss, einem Eisen- oder Vitaminmangel und vielem mehr. Der Eisenwert war damals in Ordnung, nur der Vitamin-B12-Wert war etwas zu niedrig und ich bekam deswegen eine Spritze. Gebessert hat es die Beschwerden aber nicht.

Bei erhöhtem Blutzucker sind die Beschwerden stärker

Was ich damals beobachtete: Wenn mein Diabetes nicht gut eingestellt war, verschlimmerten sich die Beschwerden.

Deswegen bekam ich vom Neurologen auch den Hinweis, sehr gut auf den Blutzucker zu achten. Mich also viel zu bewegen und gesund und zuckerarm zu ernähren.

Das fiel mir damals sehr schwer, ich war regelrecht zuckerabhängig: Ich aß ständig Süßigkeiten, fühlte mich kurz besser im „Zucker-High“ – danach ging der Blutzucker aber in den Keller und ich hatte erneut Heißhunger auf Süßes.

Infrarot, Massage, Wechselduschen – nichts half langfristig

Um die Beschwerden zu lindern, habe ich vieles ausprobiert: ein Massagegerät für Beine und Waden, kleine Holzrollen und -kugeln mit Plastiknoppen für die Fersen oder ein Holz-Vierkant, auf das ich mich stellte. Genauso wie Infrarot-Licht oder heiß-kalte Wechselduschen. Manchmal setzte ich mich auch auf die Tischkante und ließ die Beine hängen und baumeln. Oder ich legte die Waden auf die Tischkante und rollte mit den Beinen seitlich von links nach rechts. All das half – aber nur für kurze Zeit. Die Elektrostimulation habe ich nicht getestet, weil mir die Geräte zu teuer waren: 400 Euro waren mir für einen unklaren Erfolg dann doch zu viel.

Mir hat nur eins wirklich geholfen: wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs war, umherlief oder wenn ich in meinem Garten arbeitete. Dann ging es mir gut. Wenn ich flott ging oder richtig strampelte, waren die Beine beschäftigt und zuckten und kribbelten nicht mehr.

Medikamente wirkten nicht – hatten aber starke Nebenwirkungen

Da es mir immer schlechter ging, verschrieb mir der Neurologe irgendwann doch ein Medikament, das auch bei gegeben wird: L-Dopa. Als das nicht half, wechselten wir auf ein anderes mit ähnlichem Wirkstoff. Aber auch das wirkte nicht gut. Es folgte ein weiteres Präparat mit demselben Wirkstoff – das trotz immer höherer Dosis genauso erfolglos blieb.

Auch L-Dopa-Hautpflaster und Gabapentin, ein Medikament, das bei Epilepsie und Nervenschmerzen eingesetzt wird, halfen mir nicht.

Ich war aggressiv, unwirsch und stürzte oft

Dafür waren die Nebenwirkungen enorm und belasteten mich fast mehr als die eigentlichen Beschwerden. Ich wurde aggressiv, unwirsch und ungeduldig im täglichen Miteinander. Meine Frau erkannte mich nicht wieder, da ich eigentlich ein sehr ruhiger und ausgeglichener Mensch bin.

Zusätzlich war ich von den schlaflosen Nächten sehr erschöpft und kaputt. Irgendwann war es so schlimm, dass ich sogar mitten am Tag stürzte, weil ich immer wieder in Sekundenschlaf fiel.

Eine weitere Nebenwirkung: Einige Fußmuskeln waren gelähmt, ich konnte meine Fußspitzen nicht richtig heben und stürzte auch deshalb oft. Ich stolperte im wahrsten Sinne nur noch durchs Leben. Es war wirklich eine starke Einschränkung.

Kein Kino, keine Einladungen, kein Urlaub – ich zog mich zurück

Ich versuchte, irgendwie mindestens 4 oder 5 Stunden Schlaf zu bekommen, damit ich mich auf der Arbeit konzentrieren konnte. Ich war erst Ofensetzer und stellte handgefertigte Kachelöfen her. Nach der Wende wechselte ich zu einem Sicherheitsdienst bei der Bahn und hatte Früh- und Spätschichten. Da war es schon eine Herausforderung, den Tag zu überstehen.

Als ich pensioniert war, hat mir der Garten sehr geholfen. Ich war draußen, es hat mich entspannt und ich war in Bewegung. In solchen Momenten gingen die Beinbewegungen komplett weg.

Belastend waren auch die Auswirkungen in der Öffentlichkeit. Denn das Schwierige war, dass ich nicht wusste, wie lange ich in Ruhe sitzen konnte: Mal ging es eine halbe Stunde gut, mal ein paar Stunden – manchmal nur einige Minuten. Das machte es so unberechenbar.

Wir sind irgendwann nicht mehr zu Abendveranstaltungen gegangen – weder ins Theater noch zum Fasching. Die unruhigen Beine waren mir peinlich, ich ging immer raus, lief fünf Stunden im Vorraum herum und meine Frau saß drinnen allein. Das machte natürlich keinen Spaß und war anstrengend. Deswegen haben wir uns als Paar sozial zurückgezogen und sind auch kaum verreist.

Durch Zufall setzte ich die Medikamente ab – und blieb dabei

Irgendwann war es für meine Frau so belastend, dass sie mir die Frage stellte, ob es nicht besser wäre, die Medikamente mal wegzulassen. Ihr war unheimlich, wie sehr ich mich im Wesen verändert hatte.

Und als ich vor drei Monaten einen Magen-Darm-Virus bekam und einfach vergaß, die Medikamente zu nehmen, beobachteten wir beide einige Tage lang, was passierte.

Tatsächlich gingen die Nebenwirkungen komplett zurück – aber das Überraschende war, dass das viel milder und gemäßigter war als vorher: Die Beine zuckten seltener, nur das Kribbeln blieb. Ich war wieder der Alte und fühlte mich viel wohler in meiner Haut.

Ich wusste nicht, dass die Medikamente die Beschwerden auch verstärken können

Um sicherzugehen, sprach ich mit meinem Neurologen darüber. Seine Antwort: „Herzlichen Glückwunsch! Wenn Sie das Dreckszeug nicht mehr nehmen müssen und die Beschwerden sogar besser sind, können Sie froh sein!“

Ich war entsetzt und fragte mich, warum ich das „Dreckszeug“ überhaupt verschrieben bekommen hatte. Damals hatte er mich nicht informiert, dass das Medikament selbst manchmal die Beschwerden verstärken kann.

Das hätte ich gerne früher gewusst – immerhin hatte ich insgesamt zwölf Jahre lang Tabletten geschluckt und Pflaster geklebt. Das ist eine lange Zeit. Ganz schön bitter, im Nachhinein zu erfahren, dass es eventuell vermeidbar gewesen wäre.

Die Kommunikation hätte besser sein können

Auch wenn ich fachlich und neurologisch gut betreut war – das Gespräch und die Aufklärung gingen leider oft in der Hektik des Praxisalltags unter. Der Schwerpunkt lag klar auf den Medikamenten: Mir wurden sehr schnell und sehr radikal Medikamente verschrieben, immer wieder die Dosis erhöht, die Wirkstoffe munter gewechselt und getauscht. Aber auf die Idee, mal eine Pause einzulegen, kam man nicht.

Auch zu den Hilfsmaßnahmen hätte ich gerne mehr erfahren. Vieles recherchierte ich im Internet allein und probierte selbst aus, was half und was nicht. Da hätte ich mir mehr Begleitung gewünscht.

Das Restless-Legs-Syndrom ist wenig bekannt und nicht sichtbar

In der Öffentlichkeit ist die Erkrankung relativ unbekannt – vor allem, dass sie so ausgeprägt sein kann, dass das Leben massiv eingeschränkt ist. Das Gemeine ist ja, dass man es nicht sieht. Viele erfassen das Ausmaß nicht und fragen, ob ich den Drang nicht einfach ignorieren oder unterdrücken könnte.

Glücklicherweise sind einige gute Freunde geblieben, die es verstehen. Wenn ich heute plötzlich aufstehe und rumlaufe oder hopse, wissen sie Bescheid und wundern sich nicht. Sie ignorieren es einfach und machen weiter, als wäre nichts.

Es war eine Leidensgeschichte, die über viele Jahre ging und vielleicht zum Teil vermeidbar gewesen wäre. Heute bin ich aber zufrieden und komme zurecht: Ich brauche keine Medikamente mehr und passe auf meine Ernährung und den Blutzucker auf. Und auch wenn ich noch das Kribbeln spüre und die Beine ab und zu zucken – ich kann wieder schlafen und mich auf verständnisvolle Freunde und meine Familie verlassen.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 04. Dezember 2024

Nächste geplante Aktualisierung: 2027

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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