Ich weiß noch genau, wann der Anruf kam: „Das Virus ist weg!“

Foto von Mann beim Lesen

Werner, 71 Jahre

„Eigentlich habe ich das Glück, durch Medikamente vom Hepatitis-C-Virus befreit und geheilt zu sein. Trotzdem muss ich heute mit den Folgen der Leberschädigung leben.“

Die C wurde bei mir vor 25 Jahren zufällig entdeckt. Ein junger Arzt, der neu in die Hausarztpraxis kam, schlug mir einen Gesundheits-Check-Up vor. Und da wurden im Blut Hepatitis-Virus-Bestandteile nachgewiesen. Ich konnte erstmal überhaupt nichts damit anfangen und habe das Ausmaß gar nicht begriffen.

Mir war vor allem ein Rätsel, wo ich mich angesteckt hatte. Ich forschte lange in der Vergangenheit, schrieb zum Beispiel Krankenhäuser an und fragte, ob ich Bluttransfusionen bekommen hätte. Es kam aber nichts heraus.

Ich wusste nicht, wo ich mich angesteckt hatte

Im Grunde genommen hätte ich mich bei jedem Zahnarztbesuch anstecken können. Oder beim Friseur: Wenn mit einem Rasiermesser der Nacken ausrasiert wird und man sich dann sehr kleine Verletzungen zuzieht, ist das ein möglicher Ansteckungsweg. Da muss nur einer vor mir infiziert gewesen und derselbe Kamm benutzt worden sein. Das kann ja außerhalb des Körpers lange überleben, in getrockneten Blutresten zum Beispiel bis zu 30 Stunden bei Raumtemperatur.

Eine andere Ansteckungsmöglichkeit war der Studentenjob in der Wäscherei der Uniklinik. Da kam ich jeden Tag mit bloßen Händen mit der blutigen Wäsche aus den OPs und Stationen in Berührung. Über eine kleine Verletzung wie einen Riss der Nagelhaut hätte ich mich infizieren können.

Handschuhe trugen wir damals nicht – das war ja nicht bekannt. Das hat man erst später entdeckt, als man merkte, dass HIV-Infizierte auch häufig eine Virus-Leberinfektion bekommen. Beide Viren werden auf dem Blutweg, über Verletzungen beim gemeinsamen Gebrauch von Spritzen oder durch ungeschützten Sex, übertragen.

Ich erinnere mich, dass ich kurz nach der Zeit als Hilfskraft im Krankenhaus urplötzlich für eine Woche hohes Fieber wie bei einem grippalen Infekt hatte. Das könnte die Hepatitis-C-Erstinfektion gewesen sein.

Erschöpfung und leicht erhöhte Leberwerte

Das einzig Auffällige waren leicht erhöhte Leberwerte, die kurz danach zufällig bei einer Blutuntersuchung festgestellt wurden. Das ist aber später nicht weiter beobachtet worden. Das Tückische bei einer ist ja, dass der Körper nur wenig beeinträchtigt ist und man keine auffälligen Beschwerden hat. Es ist oft eine „stille“ .

Später kamen Müdigkeit und Erschöpfung dazu, aber die überging ich immer. Solange ich etwas zu tun hatte, an meinem Schreibtisch saß oder Vorträge vor Kunden hielt, verdrängte ich das. Ich merkte nur allgemein: „Irgendwie bist du nicht mehr so belastbar.“ Und brachte das irrtümlich mit dem Stress auf der Arbeit in Verbindung.

Ich hatte Sorge, meine Frau oder die Kinder angesteckt zu haben

Was mir nach der auch Kopfzerbrechen machte, war der Gedanke, ob ich selbst unwissentlich andere angesteckt hatte. Ich bin seit über 40 Jahren verheiratet, glücklicherweise hatte ich meine Frau aber nicht angesteckt. Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist das Risiko ja auch relativ klein – nur wenn beide eine Verletzung haben und das Blut in Kontakt kommt, kann das übertragen werden. Auch meine zwei Kinder wurden getestet und waren zu meiner Erleichterung gesund.

Vorsichtsmaßnahmen, um eine Ansteckung zu verhindern

Als ich wusste, dass ich mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert bin und das noch im Blut war, haben wir auf einiges geachtet, damit ich niemanden anstecke. Zum Beispiel habe ich immer ein eigenes Waschbecken im Bad benutzt, falls ich mich beim Nassrasieren schneide und das am Waschbecken haften bleibt.

Um meine Frau zu schützen, haben wir beim Sex dann immer ein Kondom benutzt. Das halte ich in der Partnerschaft für absolut notwendig, wenn man infiziert ist.

Bei Unfällen im Haushalt war ich sehr vorsichtig und wollte nie, dass mir meine Frau beim Versorgen von Wunden hilft. Ich stieß zum Beispiel einmal mit dem Kopf gegen ein Baugerüst, als ich aus der Haustür ging. Da lief das Blut in Strömen runter. Ich wollte aber partout nicht, dass meine Frau mich anfasste, und versorgte die Wunde selbst, so gut es ging. In meinem Freundeskreis wussten alle Bescheid, um sich selbst zu schützen, falls ich mal blutete.

Die Behandlung mit Alpha-Interferon war sehr belastend

Als die feststand, wurde ich an einen Spezialisten überwiesen, der Erfahrung mit der Behandlung von C hatte. Nach diversen Untersuchungen und einer Leberpunktion bekam ich das Medikament Alpha-Interferon dreimal in der Woche abends gespritzt. Es war eine einzige Quälerei: An den Tagen, an denen ich die Spritze bekam, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen, hatte Fieber und Schüttelfrost, es ging mir richtig schlecht. Und ich verlor meinen Appetit.

Die Hoffnung war, dass das aus dem Körper entfernt wird. Leider war die nicht erfolgreich: Nach drei Monaten war die Virusmenge im Blut immer noch nicht gesunken und die erhöhten Leberwerte waren unverändert. Deswegen wurde die Behandlung abgebrochen.

Ein kurzer Erfolg mit einer anderen Medikamenten-Kombination

Ein paar Jahre später wurde eine neue Variante von Interferon entwickelt, die langsamer in den Körper abgegeben wurde, nur einmal in der Woche gespritzt werden musste und vor allem nicht so viele Nebenwirkungen hatte. Zusätzlich wurde das Medikament mit Ribavarin, einem virenabtötenden Mittel, kombiniert. Auch wenn ich wegen Appetitlosigkeit 20 Kilo abnahm, war es erfolgreich: Das war nach einem Jahr nicht mehr im Blut nachweisbar!

Allerdings war es nicht nachhaltig: Die Leberwerte schossen drei Monate nach Absetzen der Medikamente wieder in die Höhe. Damit war klar: Das war noch da und die C immer noch aktiv und mittlerweile chronisch geworden.

Es wurden neue Medikamente zugelassen: die direkten Virushemmer

Ich war sehr frustriert. Zu dem Zeitpunkt gab es keine Behandlungsalternative. Wir hatten nur die Möglichkeit der regelmäßigen Kontrollen und warteten auf eine neue Behandlung, die bei mir vielleicht besser anschlagen würde.

Vor neun Jahren wurde ich an eine Professorin überwiesen, die bei Patienten im Rahmen von Studien neue Medikamente testete: die direkten Virushemmer. Ich stand bei ihr auf der Warteliste und sollte bei Zulassung der Medikamente als einer der ersten behandelt werden.

Acht Monate später startete die – eine Kombination aus zwei neuen Wirkstoffen: Sofosbuvir und Simeprevir, jeweils eine Tablette.

Nach einem Monat war das Virus nicht mehr nachweisbar

Ich war zuerst sehr skeptisch, weil ich auch Nebenwirkungen erwartete, so wie bei den Interferonen – aber es gab keine. Mir ging es gut, die sprach sehr schnell an und war effektiv: Nach nur einem Monat war das nicht mehr nachweisbar!

Insgesamt bekam ich die Medikamente drei Monate lang. Die kritische Phase war die nach dem Absetzen der Medikamente. Drei Monate lang saßen wir wie auf heißen Kohlen. Ich weiß noch genau, wann der Anruf kam: Meine Frau und ich saßen beim Frühstück, als das Telefon klingelte und die Botschaft kam: „Das ist weg!“ Es war ein sehr befreiender Moment, ein Einschnitt.

An diesem Abend tranken meine Frau und ich zur Feier des Tages ein Glas Champagner. Aber das war auch der einzige Schluck Alkohol, den ich in den letzten 20 Jahren zu mir genommen habe. Da bin ich sehr konsequent. Ich möchte die Leber nicht unnötig belasten und meine Gesundheit gefährden.

Trotz Heilung schritt die Leberzirrhose fort

Meine Euphorie wurde etwas gedämpft, denn auch wenn das erfolgreich bekämpft war, konnten Leberschäden auftreten und sich eine Zirrhose entwickeln oder fortschreiten. Auch die Gefahr von Leberkrebs blieb.

Und tatsächlich zeigten sich bei mir einige Jahre später Zeichen einer Leberschädigung. Ich hatte Blut im Stuhl und erfuhr nach einer Magenspiegelung, dass ich Krampfadern entlang der Speiseröhre hatte – die Folge einer beginnenden . Vor fünf Jahren kam noch Wasser im Bauch (Aszites) dazu – ein Zeichen, dass die stärker geworden war. In dieser Zeit habe ich auch sehr abgenommen und wog nur noch 56 Kilo.

Ein bösartiger Leberkrebs wurde rechtzeitig entdeckt

Vor zwei Jahren wurde im Ultraschall ein Tumor in der Leber entdeckt. Nach der MRT-Untersuchung zur Abklärung bekam ich einen Anruf: „Stellen Sie sich umgehend in der Onkologie vor, wir haben den Verdacht, dass sich Leberkrebs entwickelt hat.“ Es war ein Schock. Immerhin konnte der Tumor komplett aus dem betroffenen Leberlappen herausgeschnitten werden und stellte sich tatsächlich als bösartig heraus. Ein Glück, dass er rechtzeitig entdeckt und entfernt wurde.

Damit gehörte ich also zu denen, die trotz erfolgreicher Behandlung der C einen bösartigen Lebertumor ausbilden – und zwar wegen der , auch wenn das schon längst nicht mehr da ist.

Ich habe wenig Kraft im Alltag

Der Rückhalt meiner Familie hat mir sehr geholfen, meine Frau trägt ein Riesenbündel. Es hat sich aber einiges im Alltag verändert. Ich kann mich selbst zwar gut versorgen – was mich aber belastet, ist die große körperliche Schwäche. Und das wirkt sich auch seelisch aus: Ich habe oft Stimmungsschwankungen. Es kann sein, dass ich in einem Moment ganz friedlich dasitze – und im nächsten Moment kommen mir die Tränen.

Ich trinke natürlich keinen Alkohol mehr. Und ich muss darauf achten, häufig am Tag zu essen, damit die Pausen zwischen den Mahlzeiten nicht so groß sind. Aber es ist extrem schwer, jeden Tag diese 7 bis 8 Mahlzeiten einzuhalten. Alle drei Stunden zu essen, beschäftigt einen ständig. Das ist schon eine Einschränkung der Lebensqualität.

Die Erkrankung ernst nehmen

Was mir sehr geholfen hat, waren die Informationen der Selbsthilfegruppe bei der Leberhilfe. Und vor allem habe ich gesehen, dass ich nicht der Einzige mit dieser bin. Dummerweise gehöre ich nicht zu den Glücklichen, die nach ausgeheilter Ruhe haben, sondern zu denen, die mit Spätfolgen zu kämpfen haben.

Ich würde Betroffenen, die die bekommen, auf jeden Fall raten, die Erkrankung ernst zu nehmen: die Medikamente streng nach Plan einzunehmen, alle Arztbesuche wahrzunehmen und alles zu vermeiden, was die Leber belasten oder schädigen könnte. Also abstinent leben und nicht rauchen und trinken. Davon hängt wirklich die weitere Lebenserwartung und Gesundheit der Leber ab.

Hepatitis C müsste bekannter sein

Was viele nicht wissen, ist, dass man sich kostenfrei bei Gesundheitsämtern und anderen Stellen auf C testen lassen kann. Nur so kann man feststellen, ob man sich bei ungeschütztem Verkehr, gemeinsam benutzten Utensilien beim Drogenkonsum oder durch eine Bluttransfusion in früheren Zeiten angesteckt hat.

Das Tückische ist ja: Eine spürt man oft nicht – es ist eine stille . Sie wird deswegen leicht übersehen. Es gibt zwar keine gegen C – aber dafür sehr wirksame Medikamente mit guten Aussichten auf Heilung.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 17. Juli 2024

Nächste geplante Aktualisierung: 2027

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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