Ich lebe viel bewusster und nehme Hilfe an

Foto von Frau am Teich sitzend

Elke, 54 Jahre

„Sehr wichtig finde ich den Austausch mit anderen Patienten. Dadurch merke ich, dass viele Menschen mit dieser Erkrankung leben und auch gut damit leben können. Das hat mir meine Ängste ein wenig genommen.“

Die ersten Anzeichen meiner Erkrankung habe ich mit Anfang 20 gespürt. Aber eine habe ich erst mit etwa 40 Jahren erhalten.

Ich hatte immer wieder Rückenschmerzen und auch Beschwerden in der Hüfte. Das wurde schleichend über die Jahre schlimmer, bis es fast unerträglich war. Ich war sehr stark in meiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt.

Die Ärzte haben auf Hexenschuss getippt

Eines Tages konnte ich mich gar nicht mehr richtig bewegen. Das kam ganz plötzlich und ich hatte wahnsinnige Schmerzen. Ich wurde dann vier Wochen intensiv stationär im Krankenhaus behandelt. Die Ärzte haben zunächst auf einen schweren Hexenschuss getippt. Ich habe alle möglichen Behandlungen bekommen, aber es wurde immer nur kurzfristig besser. Das Schlimmste für mich war, dass ich nicht mehr sitzen konnte.

Ich wurde schließlich in eine Klinik für Wirbelsäulenerkrankungen überwiesen. Dort wurde dann festgestellt, dass ich höchstwahrscheinlich an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, an einer Arthritis leide. Ob es sich um eine rheumatoide oder um eine psoriatische Arthritis handelt, war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz eindeutig feststellbar.

Ich musste sehr oft die Medikamente wechseln

Nachdem mir die mitgeteilt wurde, wusste ich aber noch nicht, was das konkret für mich bedeutet. Zunächst bekam ich ein immunsuppressives Basismedikament, das ich aber nicht vertragen habe. Bereits am zweiten Tag verschlechterten sich meine Leberwerte massiv, sodass die Ärzte dieses Medikament wieder absetzen mussten, und ich bekam eine Zeit lang nur , was die Leber nicht belastet. Da die meisten Schmerzmittel ebenfalls über die Leber abgebaut werden, kamen sie als zusätzliche Therapieoption für mich nicht infrage. Als die Leberwerte wieder besser waren, wurde ein neues Medikament ausprobiert. Dieses Medikament habe ich zum Glück ganz gut vertragen, aber es hat mehrere Monate gedauert, bis es die erwünschte Wirkung gezeigt hat. Damals war mir noch nicht bewusst, dass ich die Medikamente als Basistherapie langfristig einnehmen muss. Ich dachte, dass die Behandlung nur vorübergehend nötig wäre, bis die Krankheit wieder vorüber ist. Dass es sich um eine lebenslange, schwere und chronische Erkrankung handelt, davon ahnte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nichts! Bei mir mussten die Medikamente immer wieder umgestellt werden, weil ich sie entweder nicht vertragen habe, oder sie nicht ausreichend wirksam waren. Seit vielen Jahren muss ich dauerhaft zusätzlich auch einnehmen.

Ich glaube, es gibt kaum ein Rheumamedikament, das ich in den letzten Jahren nicht ausprobiert habe. Bei den neueren Medikamenten mache ich mir besonders Sorgen, weil es hierzu noch keine Langzeiterfahrungen gibt, und ich auch von den anderen Medikamenten, die ich einnehmen muss, schon genug Nebenwirkungen, und auch Wechselwirkungen habe.

Auch andere Gelenke sind mittlerweile betroffen

Mittlerweile sind die Beschwerden in nahezu allen Gelenken aufgetreten. Am problematischsten ist es bei mir an der Verbindung von Brust- und Schlüsselbein, am Sternoclavikulargelenk. Mittlerweile habe ich bereits sechs Gelenkoperationen hinter mir. An den Schultern bin ich mehrfach operiert worden und auch am Kiefergelenk. Demnächst steht eine weitere Operation am Sprunggelenk und am Fersenbein an.

Ich hatte bis jetzt zehn Knochenbrüche an der Wirbelsäule, im Bereich des Beckens und insbesondere an den Füßen, ohne dass es eine äußere Ursache gegeben hätte. Durch die langjährige Kortisoneinnahme hat sich eine schwere entwickelt. Hinzu kam noch eine weitere, schwere Immunerkrankung, die auch mit meiner rheumatischen Erkrankung in Verbindung steht.

Aufgrund dieser Einschränkungen wurde ich bereits im Alter von 46 Jahren berentet. Das war ganz bitter für mich. Fast schlimmer als die an sich. Das hat mich damals schwer getroffen, auch heute noch habe ich Tage, an denen mich das mit voller Konsequenz noch einmal einholt.

Ich muss mein Leben selbst in die Hand nehmen

In den ersten Jahren habe ich versucht, meine Erkrankung zu ignorieren. Es gab für mich ein Leben mit Krankheit und ein Leben, das ich gern ohne die Krankheit geführt hätte, und ich habe versucht, beide Leben parallel nebeneinander zu führen. Das konnte natürlich nicht funktionieren.

Irgendwann habe ich festgestellt, dass es das Wichtigste für mich ist, selbst dafür zu sorgen, dass es mir gut geht. Mit allen Mitteln, die ich zur Verfügung hatte, wollte ich mich von da ab ganz intensiv um mein Wohlbefinden kümmern, um wieder Freude am Leben zu finden. Ich habe das bildlich für mich so gesehen: In Zeiten, wo es mir gut geht, stelle ich mir eine Schatzkiste zusammen, die ich dann öffnen kann, wenn es mir schlecht geht. Zum Beispiel steckt in einer Schublade der Kiste: Schön Kaffee trinken zu gehen, das ist etwas Besonderes für mich, oder ich rufe jemanden an, gehe ins Kino oder besuche ein Konzert oder ein Theaterstück. Da ich sehr musikalisch bin, bedeuten Konzerte Balsam für meine Seele. In jeder Schublade steckt etwas, das etwas ganz Besonderes für mich bedeutet, und das mir hilft, wenn es mir schlecht geht. Diese Schatzkiste kann ich nicht erst dann „füllen“, wenn ich sie brauche, das schaffe ich in einem schlechten Zustand nicht mehr, sie muss für den Ernstfall parat stehen.

Das Umdenken, dass ich nicht der Krankheit hilflos ausgeliefert bin, sondern dass ich diejenige bin, die etwas tun muss, und auch tun kann, hat mir sehr geholfen. Ich bin für mich eigenverantwortlich. Niemand kann mir die Auseinandersetzung mit meiner Krankheit abnehmen.

Ich engagiere mich ehrenamtlich

Ich habe, nachdem ich berentet wurde, mein Leben umstrukturiert und arbeite jetzt sehr intensiv im ehrenamtlichen Bereich. Ich bin beispielsweise in der Selbsthilfe aktiv. Ich wollte meiner Krankheit einen Sinn geben. Es gibt immer irgendwo einen Weg, man muss manchmal nur etwas suchen, bis man ihn findet.

Ich arbeite auch deshalb ehrenamtlich, um einen normalen Tagesablauf zu haben. Ich brauche eine Aufgabe und das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich wollte mit der Berentung nicht plötzlich in ein tiefes Loch fallen. Außerdem sollten mein Wissen und meine Erfahrung nicht einfach ungenutzt bleiben.

Der Schmerz hat seinen Platz, ist aber nicht die Nummer 1

Der Schmerz sitzt bei mir in den Knochen, Gelenken, Sehnen und Muskeln. Manchmal kann ich den Schmerzpunkt gar nicht richtig benennen, weil die Schmerzen ausstrahlen - beispielsweise vom Handgelenk in den Unterarm, von der Schulter in den Ellenbogen oder vom Knie in die Hüfte. Besonders schmerzhaft sind die Entzündungen der Sehnenansätze. Manchmal sind das permanent ziehende, manchmal auch pulsierende oder einschießende Schmerzen, die mich richtig zermürben.

Sehr schwer fällt mir, für eine längere Zeit zu sitzen. Ich muss dann oft aufstehen und einige Schritte laufen oder meine Position verändern. Wenn ich zu Hause bin und es schlimmer wird, dann lege ich mich mal hin, höre Musik oder lese etwas. Sehr gerne löse ich auch Rätsel, insbesondere nachts, wenn ich nicht mehr schlafen kann, oder ich stehe auf und koche mir einen Tee.

Ich spiele mehrere Blasinstrumente und spare gerade auf ein weiteres eigenes Instrument, das ich mir gerne kaufen möchte - das ist auch eins meiner Ziele. Das bedeutet ein "Highlight" in meinem Leben, dadurch kann ich Abstand zur Krankheit gewinnen und die nötige Kraft neu schöpfen. Darüber kann ich dann einfach auch mal "die Welt vergessen!"

Der Umgang mit permanenten Schmerzen ist bei mir auch ein wichtiges Thema. Aufgrund meiner Leberschädigung kann ich kaum, und schon gar nicht regelmäßig, Schmerzmedikamente einnehmen. Mir stehen nur einige wenige Schmerzmedikamente zur Verfügung, die ich im Akutfall einnehmen kann. Daher bin ich gewohnt, meine oft sehr starken Schmerzen überwiegend auszuhalten.

Ich habe gelernt, mich nicht auf den Schmerz zu konzentrieren, sondern ihm den Platz in meinem Leben einzuräumen, den er braucht, genauso wie meine Erkrankung selbst. Sie hat zwar ihren Platz in meinem Leben, ist aber bestimmt nicht die Nummer 1.

Ich musste lernen, mit den Einschränkungen umzugehen

Ich musste viele Monate lang, und auch immer wieder, eine Schiene am Fuß tragen, damit falle ich natürlich auf und werde von den Leuten oft schief angeschaut. Am Anfang fiel mir das oft sehr schwer, dass die Leute so auf mich gestarrt haben, aber heute sage ich mir, dass es sicher nur eine gewisse Neugier ist. Den Menschen ist nicht bewusst, wie unangenehm das für die Betroffenen sein kann. Man muss erst lernen, damit umzugehen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.

Depressive Gedanken kenne ich leider auch sehr gut. Meine Berentung hat mich damals ziemlich tief runtergezogen, und immer wieder werde ich auch heute noch von depressiven Stimmungen eingeholt. Beispielsweise wenn wieder akute Probleme, Therapieumstellungen oder auch erneute Operationen anstehen. Keiner kann einem Gewissheit geben, dass der Eingriff erfolgreich sein wird. Mit all diesen Sorgen und Nöten steht man alleine da und muss für sich selber die möglichst beste Entscheidung treffen. Ich brauche dann immer etwas Zeit, bis ich neue Situationen für mich annehmen und letztlich auch akzeptieren kann.

Der Austausch mit anderen Patienten ist für mich sehr wichtig

Mir hat die Selbsthilfe viel geholfen. Ich kann mit Leuten sprechen, die auch erkrankt sind und mich verstehen. Ich fühle mich dort mit meiner Erkrankung angenommen und verstanden. Es ist ein Ort, wo meine Erkrankung Platz hat. Es muss auch nicht unbedingt immer eine Selbsthilfegruppe sein, sondern beispielsweise im Wartezimmer beim Arzt, das Gespräch mit anderen Patienten, die ein ähnliches Schicksal haben. So habe ich damals in der Rehabilitation Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch eng befreundet bin. Am Anfang war ich sehr skeptisch und wollte mir die Krankengeschichten von anderen Erkrankten nicht auch noch anhören. Doch heute weiß ich, dass ein ähnliches Schicksal auch verbinden kann.

Hilfsmittel helfen mir im Alltag

Ich benötige inzwischen viele Hilfsmittel. Das für einen persönlich richtige Hilfsmittel zu finden, das man wirklich braucht, ist gar nicht so einfach. Deshalb ist es hilfreich, eine Hilfsmittelberatung in Anspruch zu nehmen, beispielsweise während einer Rehabilitation oder durch die . Man kann sich sogar zu seiner Büroausstattung beraten lassen: angefangen vom Computer über den Bildschirm bis hin zu Büromöbeln.

Ich möchte beispielsweise nicht mehr auf meinen langen Schuhlöffel verzichten, er ist ein Segen! Ich muss mich nicht mehr bücken, und ohne ihn bekomme ich meinen Fuß nur schwer in den Schuh. Auch Öffner für Schraubverschlüsse sind sehr praktisch, oder dickere Stifte zum besseren Greifen. Nicht zuletzt auch Hilfsmittel zur Handgymnastik oder Verbesserung der Beweglichkeit, wie Bälle zur Hand- und Fingergymnastik, ein Sitzkissen oder auch ein Theraband.

Miteinander zu sprechen finde ich sehr wichtig

Durch die Erkrankung gibt es oft Kommunikationsprobleme, auch innerhalb der Familie. Oft wird vieles falsch gedeutet. Wichtig finde ich, dass man viel miteinander spricht und seine Gefühle auch offen äußert. Gerade der eigenen Familie fällt es schwer, zusehen zu müssen, aber nicht helfen zu können. Das ist nur schwer auszuhalten. Oft bleibt lange Zeit ein Unverständnis, oder man spricht einfach nicht mehr miteinander. Es fällt oft beiden Seiten schwer, sich seine Gefühle einzugestehen.

Ich lebe viel bewusster und nehme auch Hilfe an

Ich lebe seit meiner Erkrankung sehr viel bewusster. Ich halte oft inne und denke viel nach, was ich früher nicht so bewusst getan habe. Ich setze mich auch mit dem Tod auseinander. Das gehört für mich mit zum Leben. Ich genieße jeden Tag. Alles Schöne, das ich haben kann. Wenn mal ein Tag nicht so gut ist, dann sage ich mir: "Morgen ist ein neuer Tag."

Ich finde es ganz wichtig, sich über die Erkrankung, die Medikamente und andere Therapiemöglichkeiten zu  informieren. Insbesondere der Austausch mit anderen betroffenen Patienten ist wichtig. Denn gleiches Schicksal verbindet, zeigt einem, wie man gut mit der Erkrankung leben kann, und auch, dass man nicht alleine damit ist. Das schafft Selbstvertrauen und nimmt Ängste, denn oft verändert diese Krankheit das Leben mit einem Schlag: Nichts ist mehr wie vorher!

Bei Schwierigkeiten sollte man sich Hilfe holen. Man kann und muss nicht immer alles alleine schaffen. Auch ich bin jemand, der nicht gerne um Hilfe bittet. Aber man kann lernen, die Unterstützung anderer anzunehmen.

Rheuma ist eine Erkrankung, die nicht nur die Gelenke betrifft. Sie betrifft den ganzen Menschen mit seinem gesamten Umfeld, mit seinen Interessen, mit seinen Fähigkeiten, seinen Möglichkeiten und Lebensperspektiven. Nichts ist mehr wie vorher. Aber es kommt immer auch ein wenig auf die Perspektive jedes Einzelnen an. Ich versuche, meine Krankheit in einem anderen Blickwinkel zu sehen: Manches kann ich inzwischen nicht mehr, aber dafür haben sich andere Türen geöffnet. Auch bin ich sehr dankbar dafür, dass ich vor meiner Erkrankung vieles tun konnte, das nicht selbstverständlich war. Heute kann ich mich daran erfreuen, auch wenn ich inzwischen mit vielen Einschränkungen leben muss. Ich habe viel nachgedacht und bin sehr viel dankbarer geworden für das, was ich habe. Wer garantiert mir, dass ich es morgen noch tun kann? 

Ich sehe mein Leben heute als ein Geschenk an.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 15. November 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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