Ich habe meine Belastungsgrenze gut im Blick

Foto von Mann beim Zubinden eines Sportschuhs

Philipp, 49 Jahre

„Ich achte sehr auf Zeichen der Überlastung und reagiere, wenn ich erschöpft bin oder Atemnot habe. Die Herzschwäche merke ich vor allem beim Treppensteigen oder Bergaufgehen, wenn ich etwas Schweres hebe oder lange spreche.“

Vor sieben Monaten hatte ich einen , da war ich gerade noch 48 Jahre alt. Als Folge des Infarkts habe ich jetzt eine Herzschwäche. Das Herz arbeitet nicht mehr so wie vorher, weil der Herzmuskel durch den Sauerstoffmangel geschädigt wurde.

Vermutlich hat sich alles schon vorher über Monate oder Jahre entwickelt. Da das Herz nicht mehr so gut gearbeitet hat, habe ich Wasser eingelagert, ohne es zu merken. Ich dachte: „Okay, dann wiege ich eben nicht mehr 90, sondern 115 Kilo. Ich esse einfach zu viel und bewege mich zu wenig.“ Ich habe mich geärgert, aber gedacht, die Ursachen seien das Alter, meine Gewohnheiten und mein langsamer Stoffwechsel – und keine schwere Krankheit.

Nach dem wurde durch die Medikamente das ganze Wasser ausgeschwemmt. Ich wog nach ein paar Tagen fast 25 Kilo weniger!

Kombinierte Rechts- und Linksherzschwäche

Leider hat es über eine Woche gedauert, bis man den Infarkt erkannte, da die Beschwerden untypisch waren und ich bis dahin nicht am Herzen erkrankt war. Ich hatte nur immer wiederkehrende Schmerzen im oberen Rücken und ein Gefühl in der Speiseröhre, als müsste ich aufstoßen.

Der Infarkt war sehr groß: Eins der drei Hauptgefäße war verschlossen. Deswegen wurden die Vorderwand des Herzens, die Herzspitze und Teile der linken Herzkammer nicht mehr durchblutet.

Daher habe ich keine eindeutige Linksherz- oder Rechtsherzinsuffizienz, sondern beides. Das Herz pumpt weder genug Blut in den Körper noch in die Lunge.

Glücklicherweise erholt sich mein Herz deutlich: Bei der letzten Kontrolle hat die Kardiologin gesehen, dass die schon sehr viel besser geworden ist als vor drei Monaten.

Ich nehme insgesamt neun Medikamente ein

Gegen die Herzschwäche nehme ich vier Wirkstoffe, meine Ärztin nennt sie auch die „fantastic four“: einen , ein Diabetesmedikament, einen Gerinnungshemmer und ein Mittel, das entwässert, den Puls senkt und die Gefäße erweitert. Das sind anscheinend die vier Medikamente, die man heutzutage bei einer Herzschwäche nach einem gibt.

Alle Wirkstoffe zusammen schützen das Herz: Durch den niedrigeren Blutdruck muss das Herz nicht mehr so stark arbeiten, es wird mehr Flüssigkeit über die Niere ausgeschieden, die Blutgefäße sind erweitert und der Herzmuskel wird nicht weiter geschädigt.

Dazu kommen noch zwei Cholesterinsenker, zwei Gerinnungs- und Blutplättchen-Hemmer und ein magenschonendes Mittel zur Vorbeugung.

Insgesamt nehme ich also neun verschiedene Medikamente, teilweise zweimal am Tag. Da ist es schon eine Herausforderung, den Überblick zu behalten.

Der niedrige Blutdruck macht mir zu schaffen

Das Problem ist, dass mein Blutdruck jetzt sehr niedrig ist. Ich nehme gleichzeitig mehrere Medikamente, die den Blutdruck senken. Ziel ist ja, das Herz zu entlasten und einem weiteren Infarkt vorzubeugen. Aber mein Gefühl ist, dass es etwas zu viel ist.

Morgens nach dem Aufstehen und abends habe ich oft Blutdruckwerte von 90 zu 60, das ist eigentlich die untere Kante. Nur wenn ich Sport mache, ist er bei 110 zu 70 – da fühle ich mich fit und würde das eigentlich immer so haben wollen.

Ich habe das den Ärzten gesagt, aber die wollen alle Medikamente trotzdem in dieser Dosis beibehalten. Das liegt auch daran, dass mein Blutdruck in der Arztpraxis höher ist als sonst. Es ist die Aufregung, wenn ich zu den Untersuchungen gehe. Das ist ein richtiger „Weißkittel-Effekt“, der meine Werte verfälscht.

Ich bleibe aber hartnäckig und werde es weiter ansprechen, da ich mich im Alltag manchmal nicht wohl fühle. Und auch beruflich schränkt mich der niedrige Blutdruck ein, da ich mich dann ab und zu schlapp fühle und nicht richtig konzentrieren kann.

In der Herzsportgruppe fühle ich mich sicher

Seit der Reha gehe ich einmal in der Woche zur Herzsportgruppe. Das finde ich sehr gut, da ich mich immer stärker körperlich belasten kann und dabei ärztlich überwacht werde: Ich bin an ein EKG angeschlossen, gleichzeitig werden Blutdruck und Puls laufend gemessen.

In der ersten halben Stunde fahre ich auf dem Fahrrad-Ergometer. Danach absolviere ich ein Krafttraining, um die wichtigsten Muskeln an Bauch, Rücken, Armen und Beinen gezielt zu stärken.

Mich motivieren die Fortschritte sehr: Vor 7 Monaten habe ich mit 40 Watt Belastung auf dem Ergometer angefangen, 5 Monate später habe ich 30 Minuten bei 100 Watt geschafft, nun sind es schon 120 Watt. Die Herzsportgruppe tut auch gut, da ich rauskomme, einen festen Termin zum Trainieren habe und mit anderen Menschen in derselben Situation Kontakt habe.

Tägliches Spazierengehen ist mein Ankerpunkt

Mittlerweile habe ich die Sicherheit, auch alleine zu trainieren. Ich gehe täglich insgesamt eineinhalb Stunden zügig spazieren. Das ist mir wichtig: Es ist mein Leitfaden und Ordnungspunkt am Tag, den ich immer einhalte. Darüber denke ich gar nicht mehr nach, das muss ich machen und fertig.

Damit ich die Belastungsgrenze gut im Blick habe, habe ich mir eine Smart-Watch gekauft, die den Puls misst und aufzeichnet. Ich weiß: Bis 100 Schläge pro Minute ist es okay, höher sollte der Puls aber nicht gehen. Das ist sehr beruhigend.

Gleichzeitig kann ich auf der Uhr meine Fortschritte beobachten, da alles aufgezeichnet wird. Vor drei Wochen habe ich zum Beispiel für die gleiche Wegstrecke noch viel länger gebraucht. Solche Erfolgserlebnisse motivieren mich, weiterzumachen. Ich merke von Woche zu Woche, dass ich vorankomme. Heute bin ich sogar fitter als vor dem .

Die Reha war sehr wichtig

In der Reha wurden die Medikamente eingestellt und ich fing an, mich immer mehr körperlich zu belasten und das Herz zu trainieren. Gleichzeitig gab es Kurse, in denen ich viel über meine Erkrankung gelernt habe: über die Ursachen, aber auch über die Risikofaktoren und wie ich die in Zukunft selbst beeinflussen kann. Das hat mich motiviert, viel für die Vorbeugung zu tun.

Neben der regelmäßigen Bewegung achte ich mehr auf meine Ernährung: Ich meide tierische Fette wie zum Beispiel Rührei mit Speck oder Butter. Stattdessen nehme ich Frischkäse, Margarine oder benutze gar kein Streichfett fürs Brot.

Außerdem habe ich mit dem Rauchen aufgehört – und zwar sofort: Der Tag, an dem ich wegen des Herzinfarkts operiert wurde, war auch der Tag, an dem ich meine letzte Zigarette geraucht habe. Der Schreck hat gewirkt. Die psychische Abhängigkeit ist zwar noch da – es gibt klassische Situationen, vor allem bei Stress, in denen ich an eine Zigarette denke. Aber das wird deutlich seltener.

Entspannungstechniken wie Muskelrelaxation haben mir geholfen

In der Akutphase habe ich zunächst gar nichts gefühlt. Ich habe nur funktioniert und hatte gar keine Zeit, Angst zu haben. Die hatte eher meine Frau.

Aber es war schon deprimierend, sich selbst so aus dem Leben ausgeknockt und so schwach zu erleben. Die Reha nach der OP hat mir sehr geholfen, alles zu verarbeiten und zu lernen, mit den neuen Herausforderungen umzugehen. Es ging auch darum, für die Zukunft umzudenken und auf sich zu achten.

Unter anderem haben wir auch Entspannungsverfahren erlernt. Jeden zweiten Tag haben wir eine andere Technik erlernt – so konnte jeder für sich entscheiden, welche Methode am besten passt. Für mich war die toll. Man spannt alle Muskeln des Körpers nacheinander an und entspannt plötzlich wieder. Diese Technik habe ich in der Hinterhand, wenn der Stress sehr groß ist und ich merke, ich komme gar nicht mehr runter.

Heute achte ich sehr auf meine Grenzen

Es hat sich einiges verändert bei mir. Ich achte mehr auf mich und merke früher, wenn ich mich überanstrenge. Und ich sage auch schon im Vorfeld: „Nein, das mache ich nicht, das wird zu viel.“ Das war schon eine einschneidende Veränderung im Denken.

Auf der Arbeit muss ich mich nicht mehr um alles kümmern und gebe gerne an Kollegen ab, die jünger und fitter sind. Ich habe eine größere Selbstfürsorge und schaue genauer, wo meine Grenzen sind. Und tatsächlich akzeptieren das die anderen – auch das ist eine gute Erfahrung.

Ich fühle mich nicht zu sehr eingeschränkt. Ich war schon immer jemand, der sich nicht bis über die Grenzen hinaus anstrengen wollte. Wahrscheinlich ist es für Menschen schwerer, mit einer solchen Erkrankung umzugehen, die es gewohnt sind, ständig 120 Prozent zu geben.

Bei Atemnot und Erschöpfung mache ich eine Pause

Ich achte sehr auf Zeichen der Überlastung und reagiere dann. Zum Beispiel bin ich nach einer Dreiviertelstunde Telefonieren außer Atem: Ich merke, dass ich die Sätze nicht mehr zu Ende sagen oder nur noch jedes zweite Wort aussprechen kann. Vor 3, 4 Monaten hätte ich nur zehn Minuten reden können.

Auch beim Treppensteigen bin ich eingeschränkt: Ich muss langsamer gehen und mache viele Pausen. Und ich kann noch nicht schwer heben.

Im Nachhinein erinnere ich mich, dass ich schon im halben Jahr vor dem immer weniger belastbar war und dieselben Beschwerden hatte. Unbewusst habe ich deswegen Anstrengungen vermieden und es aufs Alter geschoben. Ich dachte: „Mann, du musst unbedingt abnehmen und mit dem Rauchen aufhören.“ An das Herz habe ich nicht gedacht.

Es ist auch eine Umstellung im Job

Mit der Wiedereingliederung ist es in meinem Beruf nicht so einfach. Ich arbeite bei Film und Fernsehen, baue Bühnen auf und ab und organisiere alles drumherum. Das ist immer an Projekte gebunden, im Einsatz wird oft 80 Stunden pro Woche gearbeitet. Da kann ich schlecht sagen: „Ich arbeite jetzt nur den halben Tag.“

Heute werde ich – wenn möglich – bei Projekten eingesetzt, die nur 1 oder 2 Tage dauern und vor Ort im Fernsehstudio stattfinden. Aber ich habe keine Garantie. Es kann sein, dass ich nächste oder übernächste Woche dafür kämpfen muss, nur 40 Stunden in der Woche zu arbeiten und nicht 60 oder 70.

Ich übernehme jetzt mehr das Organisatorische und sitze vor allem am Schreibtisch. Ein Gutes hat die Erkrankung: Es fällt mir heute viel leichter, für mich einzustehen und nur die Regelarbeitszeit zu arbeiten.

In der Partnerschaft haben sich manche Dinge verändert

Die Erholungs- und Aufbauphase nach dem Infarkt ist sehr lang, das geht nur Schritt für Schritt. Ich kann meiner Frau nicht mehr so helfen wie früher, da ich nicht mehr so leistungsfähig bin.

Auch bei der Sexualität vermeidet man Anstrengungen unbewusst, um sich zu schonen. Das Gute ist, dass wir darüber sprechen können und uns einig sind.

In der Partnerschaft hat meine Frau psychisch mehr gelitten als ich. Sie hatte wirklich einen großen Schock, hat während der OP um mein Leben gebangt und sich auch danach Sorgen um mich gemacht. Später hat sie Panikattacken bekommen und gedacht, dass sie selbst einen bekommt. Sie litt unter denselben Symptomen wie ich, es wurde aber körperlich nichts gefunden. Das waren die Ängste. Sie hat eine Psychotherapie als Unterstützung und Begleitung begonnen, die ihr sehr guttut.

Ich bin heute dankbar, dass ich den überlebt habe, und genieße jeden Moment. Und schaue, dass ich mein Leben an die Belastbarkeit anpasse und alle Empfehlungen umsetze: nicht mehr rauchen, sich gesund ernähren und bewegen, keinen Alkohol trinken. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes „lebenswichtig“.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 06. September 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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