Ich habe einen regelrechten Arztmarathon hinter mir

Foto von Frau beim Malen

Kirsten, 49 Jahre

„Man sieht mir die Schmerzen ja nicht an und der Vorwurf, dass ich blendend aussehe und nur nicht arbeiten will, hängt immer in der Luft. Dadurch habe ich mich sehr zurückgezogen und bin kaum noch unter Leute gegangen.“

Von meiner Jugendzeit an habe ich Schmerzen. Dadurch konnte ich häufig nicht am Sportunterricht und an Freizeitaktivitäten teilnehmen und fühlte mich oft ausgegrenzt.

Mit der Zeit habe ich die Schmerzen als gegeben hingenommen. Ich habe geheiratet und Kinder bekommen. Da waren meine Schmerzen für mich eher im Hintergrund, die anderen Dinge waren wichtiger und ich musste funktionieren.

Schmerzen im ganzen Körper

Mit der Zeit haben besonders meine Knie immer weniger mitgespielt und es folgte eine Operation nach der anderen. Aber die haben gar nichts gebracht. Ich hatte einen guten Orthopäden. Er hat die Geduld mit mir nicht verloren, obwohl nichts geholfen hat. Im Gegenteil: Die Schmerzen wurden immer stärker und haben sich über den ganzen Körper verteilt.

Die Schmerzen fühlen sich bei mir wie ein Muskelkater am ganzen Körper an. Jede Bewegung schmerzt. Es gibt auch Stellen, die darf niemand berühren, weil sie so sehr schmerzen. Aber man sieht nichts.

Mein Orthopäde hat mich immer wieder untersucht, weil er nicht wusste, woher die Schmerzen kamen. Als es weiterhin immer schlechter wurde, hat er mich auf eine rheumatologische Station einweisen lassen.

Ich konnte mit der Diagnose nichts anfangen

Im Krankenhaus wurde ich untersucht, es wurden Schmerzpunkte getestet und recht schnell festgestellt, dass ich eine Fibromyalgie habe. Ich konnte mit der so gar nichts anfangen.

Mir wurden Schmerzmittel verordnet und ich wurde damit entlassen. Zurück zu Hause meinte mein Orthopäde, dass er sich mit dieser Erkrankung nicht auskennt und hat mich an ein Schmerzzentrum verwiesen.

Behandlung im Schmerzzentrum

Der erste Arzt, der mich dort behandelt hat, hat meine Beschwerden, wie zum Beispiel in den Knien und der Halswirbelsäule nicht mehr beachtet. Er hat mir immer wieder gesagt, dass ich mit der Fibromyalgie klarkommen muss, so wie sie ist. Und er hat mir Opiate gegen die Schmerzen verordnet. Damit konnte ich mich aber nicht abfinden. Ich fühlte mich nicht verstanden und war unzufrieden. Wir haben gemeinsam vereinbart, dass ich den Arzt im Schmerzzentrum wechsle.

Mit der Fachärztin für Schmerztherapie, die mich dann behandelt hat, bin ich viel besser zurechtgekommen. Vorher haben mich viele Ärzte wie eine Simulantin behandelt. In dieser Schmerztherapeutin fand ich endlich jemanden, bei der ich mich verstanden und aufgehoben fühlte.

Sie hat mir viel und Wassergymnastik verschrieben. Das hat mir gut geholfen. Aber ich habe ja immer noch die Opiate genommen, was sie nicht gut fand. Sie hat mich dann in eine Klinik überwiesen. Ziel war es, die Opiate abzusetzen, und dass ich mit der Fibromyalgie besser klarkomme. Das hat auch gut geklappt.

Mein Leben mit den Schmerzen

Ich bin nie schmerzfrei. Ich kann schlecht schlafen, bin viel erschöpft. Ich kann nicht lange an einer Aufgabe arbeiten, da ich sehr schnell erschöpft bin.

Ich nehme zwar keine Opiate mehr, aber andere Schmerzmittel. Ohne komme ich nicht zurecht. Man bekommt ja viele Ratschläge diesbezüglich. Aber jeder ist anders und bei jedem schlagen die Medikamente anders an. Zu den Schmerzmitteln nehme ich auch für den Antrieb. Schmerzfrei bin ich aber nie.

Daheim ergänzen wir uns und jeder baut jeden auf. Mein Mann hat selbst chronische Schmerzen und wir haben viel Verständnis füreinander.

Meine Kinder sind mit den Schmerzen der Mama groß geworden. Heute habe ich oft ein schlechtes Gewissen deswegen. Sie waren immer wieder durch meine Krankenhausaufenthalte auf sich gestellt, da mein Mann ja arbeiten musste. Sie mussten vieles allein machen, was sie geprägt hat. Gut ist, dass sie heute dadurch sehr selbstständig sind.

Lange Zeit habe ich bis auf meine Familie recht isoliert gelebt. Freunde und Bekannte haben mich oft nicht verstanden, sondern reagierten eher mit viel Unverständnis. Man sieht mir die Schmerzen ja nicht an und der Vorwurf, dass ich blendend aussehe und nur nicht arbeiten will, hängt immer in der Luft. Dadurch habe ich mich sehr zurückgezogen und bin kaum noch unter Leute gegangen.

Kontakte durch die Selbsthilfegruppe

Was mir sehr geholfen hat, ist die Selbsthilfe. Ich habe durch Zufall in der Zeitung von einer Selbsthilfegruppe bei Fibromyalgie gelesen. Ich bin dort gleich aufgenommen worden. Die Gruppe ist wie eine große Familie, mit viel Verständnis füreinander.

Durch die Mitgliedschaft in der Selbsthilfe habe ich wieder Kontakte zu anderen außerhalb der Familie bekommen, was mir sehr gutgetan hat. Wir machen regelmäßig etwas zusammen, wie Entspannungsrunden, Bastelrunden, organisieren Vorträge oder machen Ausflüge. Das hilft alles, von den Schmerzen abzulenken.

Vorbehalte gegenüber Psychologin aufgelöst

Wichtig war für mich auch die psychologische Betreuung. Nahegelegt wurde mir dies bei meinen Klinikaufenthalten. Am Anfang dachte ich immer: Was soll ich dort? Worüber soll ich dort reden? Aber das kam von ganz allein. Ich bin sehr froh, dass ich dort alles rauslassen kann, was mich belastet. Es hat von Anfang an menschlich super geklappt. Das ist ganz wichtig.

Die Psychologin hat mir geholfen, mir Hobbys zu suchen oder neu zu entdecken, wie zum Beispiel das Stricken. Das macht mir sehr viel Spaß, auch wenn ich in diesem Moment oder hinterher große Schmerzen habe. Aber ich bin erstmal abgelenkt. Und ich freue mich, wenn ich etwas geschafft habe und jemandem damit eine Freude machen kann. Außerdem male ich, und bastle gern, in der Gruppe oder mit den Kindern. Das tut mir gut. Egal, wie es mir im Anschluss geht.

Das richtige Maß an Bewegung und Ruhe

Ich brauche viel Ruhe. Manche Ärzte sagen, dass Bewegung wichtig ist. Meine Aufgabe ist es, das richtige Maß für mich zu finden. Da bin ich noch nicht soweit. Ich habe meine Grenze noch nicht gefunden. Oft mache ich zu viel und dann geht es mir hinterher sehr schlecht. Andere brauchen ganz viel Bewegung. Mir reicht oft ein wenig davon. Ich bin immer recht schnell erschöpft.

Wassergymnastik tut mir sehr gut, da merke ich den Schmerz nicht so sehr. Obwohl die Schmerzen hinterher wieder da sind, ist es ein schönes Gefühl, etwas getan zu haben. Und ich bewege mich gemeinsam mit anderen in der Gruppe, das ist auch schön.

Mal „Nein“ zu sagen und sich Auszeiten zu nehmen, ist wichtig

Was ich anfangs nicht glauben wollte: Positiver wie negativer Stress kann die Schmerzen bei der Fibromyalgie verstärken. Zum Beispiel freue ich mich sehr, wenn die Kinder kommen, aber dadurch sind die Schmerzen manchmal so stark, dass ich froh bin, wenn ich wieder meine Ruhe habe. Manchmal muss ich mich auch zwischenzeitlich hinlegen.

Ich habe gelernt, dass ich mir Auszeiten nehmen und auch mal „Nein“ sagen muss. Früher musste der Alltag laufen – ich habe funktioniert und versucht, es jedem recht zu machen. Ich konnte nur schwer etwas abschlagen. Es ist immer noch schwierig für mich, anderen zu sagen, dass ich etwas nicht schaffe. Aber ich brauche Auszeiten für mich. Das habe ich erkannt. Man muss da immer weiter an sich arbeiten. Immer weiter herausfinden, wo die eigenen Grenzen liegen.

Ich habe die Erkrankung akzeptiert

Als ich die bekam, konnte ich mich damit nicht abfinden. Ich wollte es nicht wahrhaben. Es hat bestimmt etwa fünf Jahre gedauert, bis ich die Erkrankung akzeptieren konnte.

Früher bin ich sehr oft zum Arzt gegangen. Ich habe einen regelrechten Arztmarathon hinter mir. Heute weiß ich, dass die Schmerzen ein Zeichen meiner Erkrankung sind und nicht alles untersucht werden muss. Ich muss die Schmerzen akzeptieren und das Beste daraus machen. Aber es dauert, bis man dies erkennt.

Ich fand es sehr wichtig, mich mit der zu beschäftigen, mir eine Selbsthilfegruppe zum Austausch zu suchen und mit der Familie darüber zu sprechen.

Und es ist wichtig herauszufinden, was einem selber guttut. Sich vielleicht eine Liste machen, wann es einem schlecht ging und wann es einem gut ging. Vielleicht eine Art Kalender führen, um dies festzuhalten. Wichtig finde ich auch, Unterstützung anzunehmen. Aber das alles ist gar nicht so einfach.

Wenn früher Leute gefragt haben, wie es mir geht, dann habe ich oft gesagt, dass alles gut ist. Obwohl gar nichts gut war. Das war aus heutiger Sicht ein Fehler. Denn die anderen dachten, dass es mir gut geht und dann war ich plötzlich krankgeschrieben. Da entstand viel Unverständnis. Heute würde ich versuchen, von Anfang an offen darüber zu sprechen.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 20. April 2022

Nächste geplante Aktualisierung: 2025

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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