Alkohol zu trinken, war für mich ein Feierabendritual

Rückenansicht von Mann

Jan, 49 Jahre

„Es ging für mich damals um die Wirkung des Alkohols, aber auch um ein Ritual im Tagesablauf. Ein Feierabendritual. Der Alkohol hatte eine dämpfende, betäubende Wirkung und hat mir beim Abschalten geholfen.“

Ich bin ein ganz normaler Konsument von Alkohol. So hätte ich mich vor ein paar Jahren beschrieben. Das heißt, wenn es Feste oder Partys gab, habe ich getrunken. Und auch sonst am Abend mal ein Bier.

Ein einschneidendes Erlebnis

Vor etwa sechs Jahren haben wir ein paar Tage Urlaub in meiner Heimat gemacht: Ich habe alte Freunde getroffen und mit ihnen getrunken. Außerdem haben wir mit meinen Eltern gut gegessen und dazu getrunken. Am Tag unserer Rückkehr bekam ich daheim plötzlich Schmerzen im oberen Bauch, die immer stärker wurden. Meine Frau hat mich schließlich ins Krankenhaus gebracht, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.

Dort wurde schnell festgestellt, dass ich eine der hatte. Ich wurde dann einige Tage stationär behandelt, zu Beginn auf der Intensivstation. Das waren heftige Tage. Es hat relativ lange gedauert, bis die Ärzte die starken Schmerzen im Griff hatten. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis für mich.

Es stellte sich die Frage: Was war die Ursache? Es gibt viele Gründe für eine solche und oft weiß man es auch nicht. Alkohol ist als häufiger Auslöser bekannt, das könnte also auch bei mir eine Rolle gespielt haben. Ich beschloss, eine Zeit lang keinen Alkohol mehr zu trinken.

Ich dachte über die Rolle von Alkohol in meinem Leben nach

Ich hatte angefangen mich zu fragen, ob ich meinen bisherigen Umgang mit Alkohol problematisch finde. Ich hatte keine Entzugserscheinungen und auch kein Verlangen nach Alkohol. Ich war nicht vom Alkohol abhängig. Aber mir sind ein paar Sachen aufgefallen, die ich bedenklich fand.

Zum Beispiel haben wir an einem Abend, als ich mit meinen Eltern zusammensaß, Wein getrunken. Da ist mir plötzlich aufgefallen, wie schnell ich mein Glas leer getrunken hatte. Ich habe schon immer schnell getrunken, aber diese Geschwindigkeit fiel mir auf. Bei meinen Eltern waren die Gläser fast noch voll und ich hatte schon ausgetrunken.

In den Jahren zuvor war meine Frau oft beruflich unterwegs. Ich war dann allein mit den Kindern und hatte neben dem Job relativ viel um die Ohren. Mir ist aufgefallen, dass ich dann am Abend schon mehr als üblich und statt einem auch mal 2 oder 3 Bier getrunken habe, oder auch zwei Gläser Wein. Das hat sich so eingeschlichen, besonders, wenn ich mich sehr belastet gefühlt habe. Das Getränk am Abend war wie eine Belohnung, ein Schlussstrich unter dem Tag. Das ist mir beim Nachdenken mit etwas Abstand aufgefallen.

Früher habe ich auch auf Partys gern etwas mehr getrunken. Einen über den Durst, wie man so sagt. Das ist damals auch meiner Frau aufgefallen und sie hat mich immer mal wieder darauf angesprochen.

Es gab noch ein Erlebnis: Vor einiger Zeit haben wir Freunde besucht, da war unser Sohn noch klein. Ich hatte etwas mehr getrunken und ihn auf dem Arm. Und ich bin dann irgendwie ausgerutscht. Das wäre mir wahrscheinlich nicht passiert, wenn ich nicht 5 oder 6 Bier getrunken hätte.

Insgesamt war es ein schleichender Prozess: Ich habe ganz allmählich immer mehr getrunken und es gar nicht bemerkt.

Erfahrungen mit Alkohol in meiner Kindheit

Ich komme aus einem Haushalt, in dem das Trinken von Alkohol völlig normal war. Er gehörte einfach zum Alltag dazu. Es wurde zu allen möglichen Anlässen Alkohol getrunken, auch immer mal wieder etwas mehr. Mein Vater ist regelmäßig nach der Arbeit in die Wirtschaft gegangen und sonntags zum Frühschoppen. Mit diesen Gewohnheiten bin ich aufgewachsen. Aber ich verbinde damit nichts Negatives, sondern im Gegenteil Spaß und schöne Momente. Bei uns wurde niemand durch Alkohol aggressiv, wir waren eigentlich immer lustig. Von daher war Alkohol für mich immer positiv besetzt. Ich habe gelernt regelmäßig zu trinken, ohne wirklich darüber nachzudenken.

Eine Pause vom Alkohol

Diese Beobachtungen und Erlebnisse sind mir nach der Bauchspeicheldrüsenentzündung durch den Kopf gegangen. Egal, ob der Alkohol jetzt wirklich die Ursache für die war oder nicht – ich nahm es als Anlass, erstmal auf Alkohol zu verzichten.

Das war auch kein Problem, weil ich ja nie ein Verlangen nach Alkohol hatte. Aber ich hatte meine Rituale. Und die Frage war: Wenn ich keinen Alkohol mehr trinke, was trinke ich dann? Ich habe verschiedene alkoholfreie Getränke probiert: Cola, Säfte, oder einfach nur Wasser, dann verschiedene nicht süß schmeckende Varianten wie Bitter Lemon oder Tonic. Letztlich bin ich bei alkoholfreiem Bier gelandet, davon habe ich aber auch zahllose Sorten durchprobiert, die leider auch fast alle recht süß schmecken und daher keinen Durst löschen. Schließlich fand ich eine der wenigen herben Varianten eines alkoholfreien Bieres, die mir sehr gut schmeckt und die ich bis heute trinke. Das richtige Ersatzgetränk zu finden, erscheint mir wichtig, weil man damit das alte Ritual des „Feierabendgetränks“ wirklich beibehalten kann. Ich glaube, man sollte nicht unterschätzen, wie wichtig solche Verhaltensrituale sind.

Nach meiner Erkrankung habe ich etwa 1,5 bis 2 Jahre alkoholfrei gelebt. Was mich auch motiviert hat: Meine Frau hat mein Alkoholkonsum schon vorher gestört, sie hat mich auch öfter darauf angesprochen. Das war ein weiterer Grund, wirklich und nachhaltig etwas zu ändern.

Meine Freunde haben zuerst schon etwas erstaunt reagiert, dass ich gar nichts mehr trinke. Aber für viele war es nach der Bauchspeicheldrüsenentzündung auch nachvollziehbar. Das war anfangs ungewohnt, weil wir immer zusammen getrunken haben, wenn wir uns gesehen haben. Auch so ein Ritual. Das gehörte einfach dazu, wir haben darüber nicht mehr nachgedacht. Deshalb gab es schon viele Rückfragen. Aber unter Druck gesetzt hat mich niemand. Ich wurde eher unterstützt. Vielleicht liegt es auch am Alter, dass man sich etwas mehr Gedanken um seine Gesundheit macht. Mittlerweile sind sie wiederum überrascht, wenn ich ab und zu ein Bier trinke.

Jetzt trinke ich bewusst und in besonderen Situationen

Das alles ist jetzt etwa 5 bis 6 Jahre her. Ich trinke nach wie vor unter der Woche am Abend nichts Alkoholisches, also nicht mehr aus Routine oder Gewohnheit. Ab und zu trinke ich mit meiner Frau ein Glas Wein zum Essen. Oder wenn wir Freunde zum Essen treffen. In besonderen Situationen. Ich bin dann auch mal ein wenig angetrunken oder anders gesagt: Ich merke die Wirkung des Alkohols. Aber das war es dann auch. Das ist kein Vergleich zu früher.

Was ich nicht mehr mache: In stressigen Zeiten oder wenn ich geschafft bin, abends Alkohol zu trinken. Ein ritualisierter, regelmäßiger Alkoholkonsum ist problematisch für mich und etwas, das ich sehr unterschätzt habe. Das Ritual konnte ich beibehalten, aber eben ohne Alkohol.

Ich habe auch oft allein getrunken. Gerade in den Zeiten, in denen meine Frau nicht da war und wenn die Kinder im Bett waren. Das mache ich auch nicht mehr: Ich trinke Alkohol nicht mehr allein.

Außerdem weiß ich jetzt viel mehr zu schätzen, am nächsten Tag keinen dicken Schädel zu haben und fit zu sein. Das war damals schon anders.

Rituale sind mir wichtig – aber ohne Alkohol

Mein Ritual ist jetzt ein alkoholfreies Bier, schön kühl am Ende des Tages. Es ging für mich damals um die Wirkung des Alkohols, aber auch um ein Ritual im Tagesablauf. Ein Feierabendritual. Der Alkohol hatte eine dämpfende, betäubende Wirkung und hat mir beim Abschalten geholfen. Aber das schaffe ich jetzt sehr gut ohne Alkohol. Und ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 24. Januar 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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